Ein Verlagsarchiv sammelt vor allem Bücher und Unterlagen wie Manuskripte, Autor-Verleger-Korrespondenzen, Verlagsverträge und Kalkulationen, Programmplanung und Rezensionen. Aber was macht hier eine Konservendose? Und was ist darin?
Die Dose und die anderen Werbemittel gehören zu den Marketingunterlagen des Rotbuch-Archivs im Mainzer Verlagsarchiv (MVA). Das MVA wurde im Jahre 2009 von Prof. Dr. Stephan Füssel, dem Leiter des Instituts für Buchwissenschaft, gegründet, um die Erforschung der Geschichte des Buchhandels in der BRD voranzubringen und die akademische Lehre mit Einblicken in praxisnahe Geschäftsabläufe zu bereichern.
Im Gegensatz zu Literaturarchiven sind für Verlagsarchive auch Objekte aus den Bereichen Herstellung und Marketing wertvoll, zum Beispiel Werbemittel. Für den Programmschwerpunkt Krimis und Thriller setzte der Rotbuch Verlag auf ungewöhnliche Kampagnen und Werbemittel wie eben diese Konservendose. Ihr Inhalt war im Archiv zunächst ein Rätsel, denn nach dem Öffnen wäre dieses Unikat zerstört gewesen. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Marketingmaßnahme?
Der Rotbuch Verlag wurde 1973 in Berlin als Abspaltung von Mitarbeitern des Verlags Klaus Wagenbach gegründet. Rotbuch nahm als kollektiv geführter Verlag eine Sonderstellung in der Bundesrepublik Deutschland ein: Die hier Beschäftigten waren gleichzeitig Eigentümer und entschieden gemeinschaftlich über Organisation, Finanzen und Programm, Auswahl der Autoren, Vertrieb und Ladenpreis.
Nach einigen Jahren hatte sich der Verlag als politischer Sachbuchverlag mit einem anspruchsvollen belletristischen Programm etabliert. Die Leser und Käufer der Rotbuch-Titel kamen vor allem aus der linken Szene. 1987 führte der Verlag eine Krimi-Reihe ein; eine Entscheidung, die auf einer Mischung von persönlichem Lesegeschmack, verlegerischen Unternehmensgeist und einer gewissen Risikobereitschaft zu einer Programmerweiterung beruhte. Das Kollektiv legte die Reihe als Cashcow zur Querfinanzierung anderer Buchtitel an, war damit sehr erfolgreich und konnte für die Krimis zunächst sogar einen etwas höheren Ladenpreis als bisher bei den Rotbuch-Publikationen üblich durchsetzen.
Die Reihe verkörperte jedoch kein Mainstream-Programm, sondern zeichnete sich durch eine große Diversität aus, verhalf dem Genre des amerikanischen Hardboiled-Romans zum Durchbruch und förderte die Entwicklung eines eigenständigen deutschen Krimis. Hier fanden sich Humor, subtile Sozialkritik, kritischer Realismus und literarisch interessante Stile.
Ein Erfolgsfaktor war der geschlossene optische Auftritt der Reihe, den man sowohl bei der Covergestaltung als auch vielen Werbemitteln erkennen kann. Der Illustrator Hendrik Dorgathen gestaltete fast alle Titelbilder und prägte die Reihe durch seinen ungewöhnlichen comic-artigen Zeichenstil über viele Jahre. Die Illustrationen Dorgathens wurden auch als Lesezeichen verteilt, als Poster an Buchhändler verschickt, als Schaufensterdekorationen verwendet und sogar bei Preisausschreiben als Originalgrafik verlost. Da dem Rotbuch-Verlag als kleinem Verlag nur ein sehr begrenztes Werbebudget zur Verfügung stand, war es wichtig, mit kleinen, aber originellen und Aufmerksamkeit erweckenden Maßnahmen für die Verlagsproduktion zu werben.
Und die Konservendose? Letztendlich konnte ihr Inhalt doch noch ermittelt werden, ohne sie zu öffnen und damit zu zerstören. Eine Zeitzeugenbefragung der Verlegerin erbrachte die Lösung: Fruchtgummis als Werbegag!
C. G., Mitarbeiterin im Mainzer Verlagsarchiv
Objekt des Monats Juli 2015
Protokollbuch des Rotbuchverlags
Weiterführende Links
Literatur
- Stephan Füssel (Hg.): „Ungeöffnete Königsgräber“- Chancen und Nutzen von Verlagsarchiven, Wiesbaden 2013
- Stefan Hutschenreuther: Blutrot. Die Krimis im Rotbuch Verlag (1987-1993), Magisterarbeit 2012
- Corinna Norrick / Ute Schneider (Hg.): Verlagsgeschichtsschreibung. Modelle und Archivfunde, Wiesbaden 2012