So bezeichnete der spätere Rektor August Reatz 1947 rückblickend die Gründung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. In der Tat war eine Universitätsgründung nur wenige Monate nach Kriegsende durch eine siegreiche Besatzungsmacht ein einzigartiger Vorgang. Und auch die weitere Entwicklung der Universität scheint an ein Wunder zu grenzen: In nur fünf Monaten gelang es, die Gebäude auf dem Campus herzurichten, rund 100 Professoren zu berufen und mit über 2.000 Studierenden im Mai 1946 in das erste Semester zu starten. Allen Anfeindungen als „französische Universität“ und der schlechten Finanzlage des neuen Bundeslandes Rheinland-Pfalz zum Trotz konnte sich die JGU in der Nachkriegszeit behaupten und etablierte sich in den 1950er-Jahren als unangefochtene Landesuniversität.
Eigentlich hat sich am heutigen Forum seit Gründung der Universität gar nicht so viel verändert. Wenn man aber genau hinschaut, gibt es trotzdem einige Unterschiede:
Heute ist die JGU mit rund 30.500 Studierenden aus über 120 Nationen und über 4.400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine der größten und forschungsstärksten Universitäten in Deutschland. Die Grundlage für diese Entwicklung wurde vor 75 Jahren gelegt, als aus einer ehemaligen Flakkaserne ein vielfältiger Universitätscampus entstand. Vielleicht ist diese Umwandlung von einem Ort des Krieges zu einer Stätte der Bildung und der Wissenschaft das wahre Wunder von Mainz.
Wo heute die Universität ist, war natürlich früher nicht einfach nichts. Diese Gesteinsprobe bildet sozusagen das Fundament der Universität. Denn noch vor 20 Millionen Jahren befand sich dort, wo heute studiert wird, ein flaches Meer mit tropischem Klima, wie es heute noch auf den Bahamas vorherrscht. Genommen wurde diese Gesteinsprobe 1965 unter der Telefonzentrale des heutigen Präsidiums am Forum.
Die Erlaubnis zur Universitätsgründung erteilte Papst Sixtus IV. in einem am 23. November 1476 ausgestellten Privileg. An der alten Universität lehrten unter anderem der Kirchenrechtler Ivo Wittich, der die erste Geschichtsvorlesung im Alten Reich stiftete sowie der Universalgelehrte Jakob Fidelis Ackermann, welcher durch seine Forschungen zum Schinderhannes Bekanntheit erlangte. An beide wird auf dem heutigen Gutenberg-Campus mit Straßen erinnert.
Vielfältige Verbindungen: Die Hebammen-Lehranstalt und das Priesterseminar
Zwischen alter Universität und JGU bestehen vielfältige Verbindungen, weshalb 1946 auch explizit von der Wiedereröffnung der Universität gesprochen wurde. Zu diesen Verbindungen gehört die 1784 gegründete Hebammen-Lehranstalt, die 1950 an die JGU angegliedert wurde.
Auch das Mainzer Priesterseminar und der Mainzer Universitätsfonds bilden solche Brücken. Die Professoren des Priesterseminars wurden 1946 zur Keimzelle der Katholisch-Theologischen Fakultät. Der 1781 zur Finanzierung der alten Universität gegründete Universitätsfonds wurde 1946 auf die JGU übertragen und unterstützt bis heute Forschung und Lehre. Eine ausführlichere Geschichte des Universitätsfonds findet sich auf den Seiten des Instituts für Geschichtliche Landeskunde.
Neustart in Mainz: Das Pädagogische Institut
Der Wunsch der Stadt Mainz nach der Wiedereröffnung der Universität ist nie erloschen und keimte in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wieder auf. 1925 gelang es, das zur TH Darmstadt gehörende Pädagogischen Institut in Mainz anzusiedeln. Direktor war der Pädagoge Erich Feldmann. Dieser war ab 1929 auch Privatdozent an der Universität Bonn, an der er auch studiert hatte.
Neben der Ausbildung im Vorlesungsbetrieb sah die Ausbildung am Pädagogischen Institut bereits Praktika in verschiedenen Schulen vor.
Ziel des Instituts war es vor allem, den Lehrkräften eine akademischere und einheitlichere Ausbildung zukommen zu lassen. Untergebracht war es in der Petersstraße, am Ort der heutigen Anne-Frank-Realschule plus.
1932 gründete Feldmann auf der Mainzer Zitadelle ein Institut für Völkerpädagogik. Neben dem Austausch mit Lehrerenden anderer Nationen standen dort vor allem Lehrmittelausstellungen auf dem Programm. Aufgrund der internationalen Ausrichtung wurde das Institut aber bereits 1933 wieder von den Nationalsozialisten geschlossen.
Gruppenbild der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts für Völkerpädagogik. Im Hintergrund ist der Drususstein zu sehen.
Die Köpfe der Gründung I
Der gebürtige Mainzer Reatz war seit 1920 Professor am Mainzer Priesterseminar und unterstützte das Projekt der Universitätsgründung nach Kräften. Als Dekan des Priesterseminars setzte er sich maßgeblich für dessen Integration in die Universität ein. Von 1947 bis 1949 führte er die Geschicke der Johannes Gutenberg-Universität als erster gewählter Rektor. Um hervorzuheben, dass er nicht wie sein Vorgänger Josef Schmid von der Besatzungsbehörde eingesetzt worden war, wird er als „primus rector electus“ (erster gewählter Rektor) bezeichnet.
Anfang November 1945 wurde bekannt, dass die Franzosen beabsichtigten, im Norden ihrer Zone eine neue Universität zu eröffnen. Als Standort waren die Städte Trier und Speyer im Gespräch, Mainz wurde auf Grund seiner starken Zerstörungen zunächst nicht berücksichtigt. Mit mehreren Denkschriften setzten sich die Mainzer für ihre Stadt ein. Ende 1945 fiel der Entschluss, die neue Universität in Mainz anzusiedeln. Am 27. Februar 1946 unterzeichnete Generalverwalter Émile Laffon einen Erlass, durch den der Universität erlaubt wurde, ihren Betrieb „wieder aufzunehmen“. Dass hier von „wieder aufnehmen“ gesprochen wurde, unterstreicht, dass es sich nach Auffassung der Franzosen nicht um die Neugründung, sondern um die Wiedergründung der alten Mainzer Universität handelte.
Die Köpfe der Gründung II
Treibende Kräfte auf französischer Seite waren neben Militärgouverneur Pierre Kœnig vor allem Raymond Schmittlein und Irène Giron, die sich maßgeblich vor Ort um den Aufbau der Universität kümmerten.
Raymond Schmittlein (1904–1974) war Leiter der Direction de l‘Éducation Publique in der französischen Besatzungszone und somit auch zuständig für die Universitäten. Da sein Vater in Mainz aufgewachsen war, hatte er eine ganz besondere Beziehung zur Stadt. Die Gründung einer neuen Universität lag ihm daher besonders am Herzen.
Pierre Kœnig (1898–1970) war von 1945 bis 1949 Oberbefehlshaber der französischen Besatzungstruppen und Militärgouverneur der französischen Besatzungszone. Nach seiner aktiven Zeit als Militär war er ab 1951 Abgeordneter in der französischen Nationalversammlung und von 1954 bis 1955 Verteidigungsminister Frankreichs.
Anders als man es von einer Militärregierung vielleicht erwarten würde, gab es auch eine Frau, die bei der Gründung der JGU mitwirkte.
Irène Giron (1910–1988) war die Stellvertreterin und wichtigste Mitarbeiterin Schmittleins. Als gelernte Dolmetscherin setzte sie sich besonders für die Germersheimer Dolmetscherhochschule ein – dem heutigen Fachbereich 06 der JGU. Bis zu ihrer Rückkehr nach Frankreich 1952 kümmerte sie sich um Germersheimer Belange persönlich und war auch für die Studierenden eine wichtige Ansprechpartnerin.
Exkurs: Technisch auf dem neusten Stand
Das Assmann Dimafon war zu Beginn der fünfziger Jahre ein gebräuchliches Diktiergerät, mit dem auch Telefongespräche mitgeschnitten werden konnten. Anschließend konnte die besprochene Schallplatte wieder gelöscht und neu verwendet werden. Zum Einsatz kam es in Germersheim entweder im Lehrbetrieb für Sprachübungen oder im Geschäftsbetrieb. Hieran lässt sich erkennen, dass die Universität sich bereits von Beginn an bemühte, technisch auf dem neusten Stand zu sein.
Auch in Mainz hatte man die neuste Technik für die Universität angeschafft. So zum Beispiel ein Schaub-Supraphon zum Abspielen von Tondrahtrollen. Hiermit zeichnete man unter anderem Festveranstaltungen wie die Fünfjahresfeier der Universität auf. Die dort gehaltenen und mit dem Supraphon aufgezeichneten Reden können Sie hier hören:
Tondrahtrollen für ein Schaub-Supraphon mit den Reden zum fünfjährigen Jubiläum der JGU am 22. Mai 1951.
Das Gerät schien sich aber auch für andere Zwecke einsetzen zu lassen. Zumindest verursachte es einmal einen kleinen Skandal.
Köpfe der Gründung III
Natürlich konnte die Gründung einer Universität nicht allein durch die Besatzungsbehörden bewältigt werden. Auch zahlreiche deutsche Köpfe setzten ihre Kräfte für das Projekt „Universität Mainz“ ein.
Zu ihnen gehörte der Freiburger Geograph Josef Schmid (1898–1978), der als Gründungsrektor maßgeblich die Berufung der ersten Professorengeneration verantwortete. Als Rektor wurde Schmid nicht gewählt, sondern von der französischen Militärregierung eingesetzt. Da er sich zunehmend von den Vorgaben der Besatzungsbehörde emanzipierte, geriet er mit der französischen Administration in Streit und wurde deshalb sogar als Rektor abgesetzt. Er blieb aber bis 1966 Professor für Geographie an der Universität und wurde für seine Leistung beim Aufbau der Universität anlässlich der 500-Jahrfeier 1977 mit der Diether von Isenburg-Medaille ausgezeichnet.
Neben Rektor Josef Schmid war es vor allem Fritz Eichholz, der als Leiter der Universitätsverwaltung in den Aufbaujahren der JGU seinen Stempel aufdrückte.
Fritz Eichholz (1902–1994) leitete bis 1967 die Verwaltung der neuen Mainzer Universität, zuerst als Verwaltungsdirektor, ab 1961 als Kanzler der Universität. Mit seiner preußischen Art geriet er des Öfteren mit den jährlich wechselnden Rektoren aneinander. Als Schwager Schmittleins verfügte er über besondere Verbindungen zur französischen Besatzungsmacht. Er trug dazu bei, dass die Universität ihre Interessen gegenüber der Landesregierung angemessen vertreten konnte und ebnete somit maßgeblich den Weg der JGU zur Landesuniversität. Hierfür wurde er von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät 1966 mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet.
Ehrendoktorurkunde der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät von Fritz Eichholz aus dem Jahr 1966.
Übersetzung des Urkundentextes:
Dies möge gut, günstig, glücklich und gesegnet sein:
An der ruhmreichen Universität Mainz,
die mit dem Namen Johannes Gutenbergs geschmückt ist,
Verlieh unter der Schirmherrschaft seiner Magnifizenz, des Rektors,
Gerhard Funke,
Doktor der Philosophie,
ordentlich-öffentlicher Professor der Philosophie,
auf Empfehlung des akademischen Senats
Dietrich Lang-Hinrichsen,
Doktor beider Rechte,
ordentlich-öffentlicher Professor für Straf- und Prozessrecht,
Auf Beschluss der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät,
zu deren Promotor er rechtmäßig gewählt wurde und deren Dekan er zu dieser Zeit ist,
dem renommierten und äußerst bekannten
Fritz Eichholz,
ehemals Rechtsanwalt am Berliner Kammergericht und Notar,
nun Kanzler dieser Universität,
um die er sich in höchstem Maße verdient gemacht hat,
zuerst, weil er sich hervorragend darum bemüht hat, dass nach dem trauervollen Ende des Krieges
Die Mainzer Alma Mater aus den Schatten ewigen Vergessens
Wiedererweckt wurde, dann, weil er seine Amtszeit über zwei Jahrzehnte
Weise und erfolgreich geleitet hat,
gemäß dem Nutzen für Forschung und Lehre, zum Vorteil
von Lehrenden und Studierenden und mit großer Sorge und Sorgfalt um Recht und Gerechtigkeit,
wodurch erreicht wurde, dass diese Universität heute
– gut aufgestellt – nicht an die letzte Stelle unter den Schwestern
gerechnet wird,
die Rechte und Privilegien des Doktors beider Rechte
ehrenhalber
und bezeugt die Verleihung mit dieser Urkunde.
Zur Beglaubigung dieser Tat haben wir diese Zeilen feierlich entworfen,
die Siegel der Universität und der Fakultät dazugetan
und unsere Namen selbst – seine Magnifizenz, der Rektor,
und seine Spektabilität, der Dekan der Fakultät – daruntergeschrieben.
Wir haben die Urkunde übergeben in Mainz am 29. Juli 1966.
(Übersetzung: Matthias Heinemann)
Am 22. Mai 1946 fand die feierliche Eröffnung der Universität statt. Mit den Worten „Vous êtes ici chez vous“ (Sie sind hier zuhause) wurde sie von General Kœnig der rheinischen und pfälzischen Bevölkerung übergeben. Einen guten Eindruck der Feierlichkeiten vermittelt ein Bericht der Nachrichtensendung „Welt im Film“.
Das Wunder von Mainz gelang. In weniger als fünf Monaten wurde der erste Bauabschnitt fertiggestellt und die Universität konnte eröffnet werden. In einem zweiten Bauabschnitt wurden die Baracken im Jakob-Welder-Weg für die Naturwissenschaftlichen Institute hergerichtet. Bis Ende der 1950er-Jahre entwickelte sich die Universität in dem von der ehemaligen Kaserne vorgegebenen Raster. Neue Gebäude entstanden vor allem als Anbauten an die ehemaligen Werkstatt- und Garagengebäude zwischen Welder- und Becherweg.
Lageplan des Campus, um 1959
Der Campus endete anfänglich am heutigen Staudingerweg. Das ehemalige Stadtkrankenhaus wurde 1950 als Universitätsklinik an die Universität angegliedert, so dass sich die JGU fortan auf zwei Standorte verteilte.
Schon damals machte sich eine große Raumnot bemerkbar. Der vorhandene Gebäudebestand reichte für die stetig wachsende Studierendenzahl nicht mehr aus.
Erst mit den Neubauten des alten Rewi-Gebäudes, der Zentralbibliothek, die bis dahin im Forum untergebracht war, des Philosophicums und des Naturwissenschaftlichen Institutsgebäudes in den 1960er-Jahren überwand die Universität die Grenzen der alten Kasernenbebauung. In den folgenden Jahrzehnten wurde der Campus mehrfach Richtung Westen erweitert und ist heute um ein Vielfaches größer als 1946.
Wie sich der Campus entwickelte, lässt sich in diesem Video nachvollziehen:
Eine schwierige Ausgangslage
Der Krieg hatte auch das ehemalige Kasernengelände stark in Mitleidenschaft gezogen, wie auf dem Luftbild zu sehen ist:
Daher musste das Gelände erst einmal von den Trümmern befreit werden, bevor ein Lehrbetrieb uneingeschränkt möglich war. Anschließend galt es, neue Gebäude zu errichten, um den Platzmangel der Universität zu beheben und die notwendigen Spezialeinrichtungen wie Labors aufzubauen.
Der Aufbau geschah aber nicht allein durch Baufirmen, sondern wurde auch durch die Studierenden tatkräftig unterstützt. Noch 1949 leisteten sie Arbeitsstunden und halfen, den Campus von einem Trümmerfeld in einen Ort des Lernens zu verwandeln.
Nicht verschwiegen werden soll, dass diese Hilfe nicht immer ganz freiwillig erbracht wurde. Denn wie an der Bescheinigung zu sehen, wurde Buch über die geleisteten Stunden geführt. Wer ein bestimmtes Pensum unterschritt, konnte mit der Aberkennung seiner Studienleistungen für das laufende Semester bestraft werden.
Die Last der Vergangenheit
Wie überall in Deutschland mussten auch die Universitätsbediensteten ein Entnazifizierungsverfahren durchlaufen, Fragebögen ausfüllen und sich einer mündlichen Befragung stellen. Anders als von vielen Zeitgenossen behauptet, war die JGU aber kein Zufluchtsort für ehemalige Nationalsozialisten. Zwar hatte es auch hier NSDAP- und sogar SS-Mitglieder gegeben, deren Anteil am Lehrkörper lag aber nicht höher als an anderen Universitäten.
Leerer Bauch studiert nicht gern
Als Folge des Krieges war die Ernährungslage sehr schlecht. Nahrungsmittel gab es nur gegen rationierte Marken. Gemüse für die Mensa wurde in den ersten Jahren auch im Botanischen Garten angebaut. Viele Studierende waren auf Hilfsangebote wie die Hoover-Speisung angewiesen. Einen Beitrag zur Bekämpfung des Hungers leistete aber auch der Mainzer Ernährungswissenschaftler Konrad Lang, der bereits im „Dritten Reich“ zu den Folgen von Hunger und der Anreicherung von Lebensmitteln geforscht hatte.
In der stark zerstörten Stadt mangelte es zudem an Wohnraum. Im Dachgeschoss des Forums wurde daher ein Wohnheim eingerichtet, in dem sich drei oder vier Studierende ein Zimmer teilten. Viele fanden nur eine Unterkunft im Umland und mussten zum Teil mehrstündige Fahrzeiten mit den nur spärlich verkehrenden Zügen in Kauf nehmen.
Improvisieren geht über studieren
Um die Würde des Rektoramts deutlich zu machen und die Tradition der Universität zu betonen, sollte auch an der Universität Mainz – wie auch an anderen Universitäten üblich – eine Amtskette für den Rektor beschafft werden. Die allgemeine Materialknappheit der Nachkriegszeit führte bei der Beschaffung zu ungewöhnlichen Wegen.
Die erste Rektorkette der JGU. Heute wird sie gelegentlich noch vom Vizepräsident getragen:
Um das für die Herstellung der Kette nötige Edelmetall zu beschaffen, rief der Kanzler die Professoren dazu auf, Silbermünzen und andere Silbergegenstände zu spenden. Die Aktion stieß aber auf recht geringe Resonanz, so dass der Feinschmied das Silber aus seinen Beständen nehmen musste. Da der Wert von Geld vor der Währungsreform nur gering, war wurde ihm das Silber in Naturalien bezahlt: mit 24 Flaschen Wein.
Auch Talare wurden schon für die Eröffnung der Universität angeschafft und bis 1968 zu besonderen Anlässen vom Lehrkörper getragen. Die farbigen Aufschläge gaben Auskunft über die Fakultätszugehörigkeit des Trägers.
Talare waren seit dem Ende des 17. Jahrhunderts ein Mittel, um die hervorgehobene Stellung von Professoren zu betonen. Wie dies aussehen konnte, lässt sich in diesem Beitrag der SWF-Abendschau erahnen. Ein weiteres Indiz, dass man an alte Universitätstraditionen anknüpfen wollte, war, dass die Universität sich bereits 1949 entschloss, ein eigenes Gräberfeld für ihre Professoren anlegen zu lassen.
Studentische Selbstverwaltung
Die Studienbedingungen waren zu dieser Zeit noch von Mangel geprägt, vielfach kam es auf die Eigeninitiative der Studierenden an. Zum Sommersemester 1947 wurde der erste AStA gewählt, der sich für die sozialen Belange der Studierenden einsetzte und unter anderem einen Studentischen Hilfsfonds einrichtete, um die größte materielle Not der Studierenden zu lindern.
Am 07.03.1947 trat der Mainzer AStA das erste Mal zusammen. Vorsitzender war der Jurastudent Willy Eberz. Seit 1998 verleiht die JGU eine nach ihm benannte Medaille an Studierende mit außergewöhnlichem Engagement.
Student sein…
Die Studierenden schlossen sich von Anfang an aufgrund gemeinsamer politischer, gesellschaftlicher, musikalischer oder fachlicher Interessen in einer Vielzahl von Gruppen zusammen. Mit der Burse (später der Mainzer Studentenzeitung nobis) schufen sich die Studierenden zudem ein Publikationsorgan, in dem sie ihrer Haltung zu hochschul- und gesellschaftspolitischen Themen Ausdruck verleihen konnten. 1952 fanden erstmals Wahlen zu einem Studierendenparlament statt. Die Wahl erfolgte aber noch nach Fakultätslisten. Parteipolitische Hochschulgruppen, wie sie heute üblich sind, waren damals nicht erwünscht.
Auch in den Notjahren der Anfangszeit kam das gesellige Zusammensein nicht zu kurz.
Gerade die Fastnacht bot in Mainz einen willkommenen Anlass für Bälle und Feiern, wie das Plakat zum „Kostümball der Kunsthistoriker“ zeigt. Verschiedene Fachschaften und auch der Asta veranstalten hierzu Kostümbälle sowie eigene Prunksitzungen.
Eine Frage der Disziplin
Dass dabei nicht über die Stränge geschlagen wurde, dafür sorgte eine eigene studentische Disziplinarordnung, über deren Einhaltung der Universitätsrichter wachte. Dieser konnte in Disziplinarverfahren Strafen für Studierende erlassen, bis hin zum Verweis von der Universität. Mehr zum Universitätsrichter erfahren Sie im MUB.
Diese Disziplinarordnung zeigt, wie man sich das Betragen der Studierenden damals vorgestellt hat. Wurden sie verurteilt, bekamen sie nicht nur eine Strafe durch ein reguläres Gericht, sondern konnten auch mit der Aberkennung von akademischen Leistungen bis hin zum Verweis von der Universität bestraft werden.
Die französische Besatzung brachte auch für die Studierenden einige Nachteile mit sich. So war es ihnen wie erwähnt nicht erlaubt, eigene Zusammenschlüsse oder Verbindungen zu gründen. Dem zum Trotz beantragte der Romanistikstudent Wilhelm Alff mit einigen Kommilitoninnen und Kommilitonen die Gründung einer „Freien Arbeitsgemeinschaft“ bei den Besatzungsbehörden. Da er aber den Rektor bei dieser Anmeldung übergangen und somit den vorgeschriebenen Weg verletzt hatte, gab es Ärger. Alff und seine Mitstudierenden mussten sich vor Universitätsrichter Thomas Würtenberger verantworten. Erschwerend hinzu kam, dass er in der Berliner Zeitung einen Artikel „Die totalitäre Universität“ veröffentlicht hatte, in dem er beklagte, dass es trotz aller frommen Reden ehemalige Nazis geschafft hätten, wichtige Positionen an der Universität zu besetzen.
In einem weiteren Artikel über die Ehrendoktoren der JGU, den er für die Zeitschrift Weltbühne geschrieben hatte, kritisierte er, dass viele der Ehrendoktoren eher zweitklassige Wissenschaftler waren. Namentlich nannte er Rektor Josef Schmid der „übrigens an keiner Universität habilitiert“ sei. Da die Darstellung als ehrenrührig aufgefasst wurde, leitete der Universitätsrichter auch ein Verfahren wegen Beleidung des Rektors gegen Alff ein. Zwar ließ man die Anklage wegen Umgehung des Dienstweges fallen, für die Beleidigung des Rektors wurde er aber mit einem strengen Verweis und der Aberkennung der im Sommersemester 1947 erbrachten Leistungen bestraft. Doch tat dies seiner Karriere keinen Abbruch. Nach Tätigkeiten beim WDR und der PH Braunschweig wurde er 1974 zum Professor für Neuere Geschichte an der Universität Bremen berufen.
Die Disziplinarordnung hielt die Studierenden allerdings nicht von Protesten und Demonstrationen ab – auch wenn man diese oft erst mit den „68ern“ in Verbindung bringt. Wie an vielen deutschen Universitäten begann der kreative Protest und der Kampf um mehr Mitbestimmung auch in Mainz bereits viel früher. So kam es, dass einige Studenten (und Studentinnen!) der JGU 1957 in einen Bartstreik traten.
Frau Professor
In der Zeit von 1946 bis 1960 wurden an der JGU 283 Personen zu Professorinnen und Professoren berufen, aber nur fünf von ihnen waren Frauen:
Einer Erhebung aus dem Jahr 1952 zufolge sah es bei den Hochschullehrerinnen auch nicht viel besser aus. Damals lehrten an der JGU 11 Frauen. Somit waren nur 4,2% des Lehrkörpers weiblich. Hiermit lag die JGU aber sogar leicht über dem bundesweiten Schnitt, denn dort waren es nur 3,3%.
2019 lag die Zahl der Professorinnen immerhin bei 26%, für das gesamte wissenschaftliche Personal bei 47%, so dass hier die Parität in greifbarer Nähe ist.
Der Mittelbau
Unterhalb der Ebene der Professoren, im sogenannten Mittelbau, leisteten jedoch nicht wenige Frauen wissenschaftliche Grundlagenforschung und Aufbauarbeit. Ein Beispiel dafür ist die Ethnologin Erika Sulzmann, die in den 1950er-Jahren die erste deutsche Kongo-Expedition leitete.
Mit dieser Schreibmaschine nahm Sulzmann an der Mainzer Kongo-Expedition teil, die sie auch geplant hatte. Nach ihren Schilderungen traute die Deutsche Forschungsgemeinschaft einer Frau aber eine solche Reise im Alleingang nicht zu, weshalb sie noch einen Studenten als Begleitung mitnehmen musste. Trotz ihres hohen Einsatzes für den Aufbau der Mainzer Ethnologie gelang ihr der Schritt zur Professorin nie. Ihr Reisebegleiter Ernst Wilhelm Müller war ab 1969 Professor für Völkerkunde an der JGU.
Die Stützen der Wissenschaft
Im wissenschaftsstützenden Bereich, in der Universitätsverwaltung, den Sekretariaten und den Bibliotheken waren Frauen von Anfang an stark vertreten und sorgten für eine gute Literaturversorgung sowie für reibungslose Verwaltungsabläufe.
Zu ihnen gehörte die gebürtige Stettinerin Waltraut B., die seit August 1946 an der JGU als Bibliothekarin angestellt war. Wie bei vielen Frauen der Zeit war ihr Mann im Krieg als vermisst gemeldet. Nachdem ihre Heimatstadt nach dem Krieg zu Polen gehörte, ging sie nach Mainz an die neugegründete Universität. Dort arbeitete sie bis 1982 in der Zentralbibliothek und trug mit ihren Kolleginnen und Kollegen dazu bei, dass die Forschenden auch die notwendige Literatur zur Verfügung hatten.
Frauen hatten damit einen nicht zu unterschätzenden Anteil am Aufbau der Universität, obwohl sie hierfür meist nicht dieselbe Würdigung erfuhren wie ihre männlichen Kollegen aus der Professorenschaft.
Die Studentin
Heute sind über 50% der Studierenden der JGU weiblich. Schon in der Gründungszeit lag der Anteil der Studentinnen mit 25–30% deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Das lag nicht zuletzt an dem stark weiblich geprägten heutigen Fachbereich 06 in Germersheim. Für nicht wenige bekannte Frauen, wie die erste Botschafterin der Bundesrepublik, Ellinor von Puttkamer oder Hannelore Renner war die JGU eine Station auf ihrem Bildungsweg.
Hannelore Renner wollte entweder Naturwissenschaften oder Sprachen studieren. Wie viele Frauen ihrer Zeit entschied sie sich für das Sprachstudium (am Auslands- und Dolmetscherinstitut in Germersheim). Denn dieses qualifizierte nicht nur für Berufe, die für Frauen anerkannt waren wie Dolmetscherin oder Fremdsprachensekretärin, sondern war auch kürzer als ein naturwissenschaftliches Diplomstudium, was bei der Familie zu höherer Akzeptanz führte. Ohnehin ging man davon aus, dass die Frauen ihren Beruf nach einer Heirat nicht weiter ausüben würden. Nach dem Tod ihres Vaters musste Hannelore Renner das Studium aus finanziellen Gründen abbrechen.
Denn die Franzosen waren stolz auf die Universitätsgründung in ihrer Besatzungszone. Um das gelungene Projekt in Augenschein zu nehmen, empfing die JGU Gäste aus aller Welt, wie hier am 13.1.1950 den französischen Außenminister Robert Schuman:
Im Sommersemester 1947 fand ein erster internationaler Ferienkurs statt, der es deutschen Studierenden ermöglichen sollte, wieder mit ausländischen Kommilitoninnen und Kommilitonen in Kontakt zu kommen. Dieser erste Ferienkurs begründete eine bis heute von der Abteilung Internationales weitergeführte Tradition. Der Ferienkurs 1949 stand unter dem Thema „Die Kultur der Goethezeit“.
Ausländische Studierende gab es zunächst nur sehr wenige. In den ersten Jahren waren dies vor allem sogenannte Displaced Persons, beispielsweise ehemalige Zwangsarbeiter aus Osteuropa oder dem Baltikum. Nach Gründung der Bundesrepublik im Mai 1949 und mit zunehmender Normalisierung der Lebensverhältnisse stieg die Zahl ausländischer Studierender in den 1950er-Jahren rasant an. Die größte Gruppe in Mainz bildeten iranische Studierende.
Auch wenn es in dieser Zeit noch keine offiziellen Universitätspartnerschaften gab, so standen doch viele Lehrstühle und Institute in engem Kontakt und zunehmend regem Austausch mit Fachkolleginnen und -kollegen vor allem aus dem europäischen und amerikanischen Ausland. Ein besonderes Ereignis war 1958 die Ehrenpromotion des indischen Vizepräsidenten und Philosophen Sarvepalli Radhakrishnan.
Die Universität konnte so nicht nur eine breite Öffentlichkeit erreichen – auch das Fernsehen war mit einem Filmteam vor Ort – und vom Renommee der Ausgezeichneten profitieren, sondern knüpfte auch an alte akademische Traditionen an.
Ende der fünfziger Jahre war der Aufbau der Universität abgeschlossen und das „Wunder von Mainz“ vollbracht. Doch dies war natürlich nicht das Ende der Geschichte – sondern der Startschuss für eine Universität, die heute zu den fünfzehn großen traditionsreichen und forschungsstarken Universitäten in Deutschland zählt.
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