Vielleicht habt ihr ja auch schon einmal ein Buch in den Händen gehabt mit dem Stempel „Eigentum Reichsleiter Bormann“ und habt gedacht: „Echt jetzt? Bormann, der Nazi?“ Ja, genau der: Martin Bormann (1900–1945), Leiter der Partei-Kanzlei der NSDAP und enger Vertrauter Adolf Hitlers. Insgesamt 1.657 Bände aus der Bibliothek Martin Bormanns sind 1946 der neu gegründeten JGU von den französischen Besatzungstruppen übergeben worden.
Denn damals waren die Bücher hoch willkommen. Das Sommersemester 1946 war schon im vollen Gang als mit der Berufung des ersten Direktors, Walter Menn mit dem Aufbau der UB begonnen wurde. Bei seinem Dienstantritt fand Menn insgesamt 3.000 Bücher vor, darunter 80 Kisten mit der Bibliothek Martin Bormanns. Heute finden sich noch 1.657 Bände aus Bormanns Besitz in den Beständen der Universitätsbibliothek. Man kann also sagen, dass die Bormann-Bibliothek den Grundstock für die heutige UB gelegt hat…
Aber wie kam dieser Bestand eigentlich nach Mainz? Außer einer groben Auflistung des Bestands aus dem Jahr 1946 gibt es dazu in Mainz keine Unterlagen mehr. Doch eine Magisterarbeit konnte 2014 Licht in die verworrene Angelegenheit bringen.
Martin Bormann hatte – so lässt sich aus den Signaturen in den Büchern rekonstruieren – seine Bibliothek offenbar auf zwei Standorte verteilt: ein Teil in seinem Haus in Pullach, ein weiterer Teil in seinem Anwesen auf dem Obersalzberg in unmittelbarer Nähe zu Adolf Hitlers Berghof. Als sich die militärische Niederlage im Zweiten Weltkrieg abzeichnete, ließ Bormann wertvolle Güter vom Obersalzberg in seine Villa am Schluchsee im Schwarzwald in Sicherheit bringen, darunter auch seine Bibliothek. Nach Kriegsende fiel die Bibliothek dort den Franzosen in die Hände, die diesen Fund wohl als willkommene Grundlage für ihre neuerrichtete Universität ansahen und die Bücher im Frühsommer 1946 nach Mainz brachten.
Spurensuche auf dem Campus
Auch die einzelnen Institute waren wohl erfreut über die unerwartete Bücherschenkung und so suchte sich jedes Fach die passenden Bücher aus den Kisten heraus und stellte sie in der jeweiligen Instituts- bzw. Seminarbibliothek auf. So verteilten sich die Bücher auf rund ein Dutzend Standorte auf dem Campus. Den größten Teil erhielten die Zentralbibliothek und das Historische Seminar. Der Gründlichkeit von Bibliotheksdirektor Menn ist es zu verdanken, dass die Bücher nachträglich alle fein säuberlich von Hand mit dem Vermerk „Bormann“ in das Zugangsbuch der UB eingetragen wurden.
Dadurch lassen sich die Bücher heute noch identifizieren, auch wenn z. B. durch einen neuen Einband der ursprüngliche Besitzstempel verlorengegangen ist. Zudem hatte Bormann die merkwürdige Angewohnheit, viele seiner Bücher zu signieren und so findet sich in dem ein oder anderen Exemplar seine nur für Eingeweihte lesbare Unterschrift.
In den letzten Jahren haben sich nun Kolleginnen und Kollegen aus der UB und dem Universitätsarchiv auf die Suche nach den verstreuten Bormann-Büchern gemacht und alle Bände im sogenannten Rara-Magazin der Zentralbibliothek, dem Ort für besondere Bestände der UB, gesammelt. Die Bücher haben außerdem im Rechercheportal einen sogenannten „Provenienzhinweis“ erhalten, der auf den prominenten Vorbesitzer hinweist. So könnt ihr euch den Bestand jetzt mit einem Klick anzeigen lassen.
Wer allerdings erwartet, dort nur eindeutige Nazi-Literatur zu finden, dürfte enttäuscht sein. Natürlich enthält der Bestand einige Werke Alfred Rosenbergs oder Reden Adolf Hitlers. Der Großteil der Bücher behandelt aber allgemeine politische, landwirtschaftliche oder (kirchen-)historische Themen – insbesondere dem Jesuitenorden war Bormann offenbar in inniger Feindschaft verbunden. Und auch praktische Ratgeber etwa zur Zucht von Zierstauden, zum natürlichen Landbau oder Das Rind dessen Bau, Zucht, Fütterung und Pflege deuten auf ein breites Interessensspektrum Bormanns hin.
Alles nur geklaut?
Raubgut findet sich in dem Bestand übrigens nicht. So sehr Bormann auch in den Kulturgutraub der Nationalsozialisten verwickelt war, ließen sich keine Anzeichen dafür finden, dass er privat im großen Stil vom NS-Bücherraub profitiert hätte. Die Bestände Bormanns sind übrigens nicht die einzigen kuriosen Bestände, die wir in der UB verwahren. Wenn euch noch mehr Stempel aufgefallen sind, könnt ihr sie gerne als Kommentar unter diesem Artikel posten!
Ihr wollt mehr zur Bormann-Bibliothek wissen? Dann schaut euch diesen Artikel in der vr-elibrary (PDF) an.
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Dr. Christian George ist Leiter des Universitätsarchivs Mainz.