Oft geben wir Geld für Dinge aus, die wir nicht brauchen. Kurz gekauft und dann lange bereut – so geht es uns allen einmal. Doch immer mal wieder gibt es Käufe, für die wir uns auch nach Jahren gerne auf die Schulter klopfen. Warum man für eine solch kluge Entscheidung manchmal ins Krankenhaus muss?
Eine Zahl wie aus einer anderen Welt: 606.230 Mark und 34 Pfennig. Denn nachdem auch meine Oma inzwischen keine Preise mehr in Mark umrechnet, treffe ich nur noch selten auf die alte Währung. Mit diesem Geld konnte man im Jahr 1950 entweder eine der fettesten Partys veranstalten, die Mainz je gesehen hatte, oder – ganz im Sinne meiner Oma – was Vernünftiges machen. Ein Krankenhaus anmieten zum Beispiel. Zugegeben, für die meisten wäre das nicht unbedingt der erste Gedanke.
Die JGU entschloss sich genau heute vor 70 Jahren, am 2. Juni 1950, zu diesem erfolgsversprechenden Geschäft und pachtete das Mainzer Stadtkrankenhaus. Das war aus Sicht der Uni auch bitter nötig. Wie nötig sieht man daran, dass der Pachtvertrag sogar rückwirkend zum 1. April 1950 geschlossen wurde. Denn eine eigene Uniklinik gehört zum Medizinstudium wie der hippokratische Eid zum Arzt.
Von der Charité an den Rhein?
Medizin spielte bei der Wiedereröffnung der Mainzer Uni im Jahr 1946 eine besondere Rolle. Denn bei der Suche nach einem Standort für eine rheinland-pfälzische Universität war das gut ausgestattete Stadtkrankenhaus ein wichtiges Argument, die Universität in Mainz zu eröffnen – auch wenn viele der Gebäude vom Krieg gezeichnet waren.
Gerade in der unmittelbaren Nachkriegszeit, während die Bevölkerung Hunger litt und von Krankheiten besonders heimgesucht wurde, brauchte man dringend Ärzte. Und die mussten irgendwo ausgebildet werden. So begann an der JGU der medizinische Lehrbetrieb zum Wintersemester 1947/48 mit dem Stadtkrankenhaus als Lehrkrankenhaus. Die Mainzer starteten mit großen Ambitionen und versuchten niemand Geringeren als den weltberühmten Chirurgen Ferdinand Sauerbruch (mancher von euch kennt ihn vielleicht noch aus der Serie Charité) an den Rhein zu locken. Sauerbruch, inzwischen mit über 70 auch nicht mehr der Jüngste, blieb aber lieber im preußischen Berlin.
Was für Sauerbruch nur begrenzten Reiz hatte, wäre für andere die Krönung der Karriere gewesen. Denn natürlich gab es in Mainz nicht nur schon Klinikgebäude, sondern auch Klinikleiter. Von ihnen schaffte es aber (fast) keiner, auf eine der neuen Medizinprofessuren berufen zu werden. Allein der Leiter der Mainzer Frauenklinik, Richard Kräuter, von den Patienten und Patientinnen liebevoll „Papa Kräuter“ genannt, wurde als ordentlicher Professor in die medizinische Fakultät aufgenommen. Besonders bedauerlich war dies im Fall des Pathologen und Krankenhaus-Leiters, Heinrich Müller. Er hatte das Stadtkrankenhaus nicht nur schon lange erfolgreich gemanagt und war ein gestandener Vertreter seines Fachs, sondern er hatte sich auch nicht von den Nazis und ihrer Rassenideologie einspannen lassen – eine Charakterstärke, die nicht alle seiner Fachkolleginnen und –kollegen aufbrachten. So gab es auch unter den Mainzer Ärzten einige, die man vielleicht nicht als Regimegegner bezeichnen würde... Später wurde Müller aber immerhin noch zum Honorarprofessor an der JGU ernannt.
Cognac für eine Leiche
Zu Beginn hatte der medizinische Lehrbetrieb noch so seine Tücken. Beispielsweise mussten die für den anatomischen Unterricht dringend benötigten Leichen noch mühsam in den angrenzenden Besatzungszonen beschafft werden. Entgegen dem alten Sprichwort „Nur der Tod ist umsonst“ mussten die dringend benötigten „Lehrmaterialien“ eingekauft werden. Da für Geld in dieser Zeit nicht viel zu haben war und die Tauschgeschäfte blühten, stellte die französische Besatzungsmacht zu diesem Zweck Wein und hochprozentige Spirituosen als Tauschware zur Verfügung. Ein etwas makabres Geschäftsmodell, das aber nur von kurzer Dauer war.
Doch im Mittelpunkt der medizinischen Forschung standen die Lebenden. Anders als man es der im Elfenbeinturm wohnenden Professorenschaft gelegentlich zuschreibt, war die medizinische Forschung natürlich bemüht, die Situation der Bevölkerung zu verbessern. Denn wie bereits gesagt, war der Hunger groß. Daher erforschte der Ernährungsmediziner Konrad Lang, wie man durch die Anreicherung von Lebensmitteln mit Eiweißen und Vitaminen eine bessere Versorgung der vom Hunger gezeichneten Menschen erreichen konnte. Und auch der Nährwert des Mensaessens stand für ihn beständig auf dem Prüfstand. Ob er das Essen auch für schmackhaft hielt, ist nicht überliefert. Aber aufgrund des knappen Angebots war man damals natürlich auch genügsamer als heute.
Mainz kann nicht nur Buchdruck!
Seitdem entwickelte sich das ehemalige Stadtkrankenhaus als Universitätsklinik zu einem Ort der Forschung, Lehre und Innovation. So geht die bundesweite Einrichtung von Rettungswagen und Notfallhubschraubern maßgeblich auf die Initiative des Mainzer Anästhesisten und Professor Rudolf Frey zurück. Vor der Verbreitung von Rettungswagen und -hubschraubern mussten Menschen mit medizinischen Notfällen noch irgendwie sehen, wie sie ins Krankenhaus kamen, um dort behandelt zu werden. Oft ging für die Ärzte so wichtige Reaktionszeit verloren.
Auch das künstliche Hüftgelenk hat eine tiefe Verbindung zum ehemaligen Stadtkrankenhaus: 1966 gelang dem damaligen Oberarzt, Rahim Rahmanzadeh, mit seinen Kollegen in der Uniklinik die erste Implantation eines totalen künstlichen Hüftgelenkes in Deutschland. Wem das noch nicht spektakulär genug ist: Im darauffolgenden Jahr wurde die Klinik Schauplatz eines Spionagethrillers. Aber das ist eine andere Geschichte.
Doch geht es im Klinikbetrieb nicht nur um Innovation. Auch medizinische Grundversorgung und Aufklärung sind wichtige Bausteine einer Uniklinik. Das zeigt sich vor allem in Zeiten von Fake News und Corona. Denn hier informiert die Universitätsmedizin mit ihrer Nachtvorlesung die Bevölkerung über die notwendigen Hygienemaßnahmen und unzählige Corona-Helden der Universitätsmedizin und den anderen Mainzer Krankenhäusern sorgen mit ihrer Arbeit dafür, dass wir hoffentlich gut aus dieser Pandemie herauskommen.
Deshalb lege ich mich fest: Diese 606.230,34 DM waren auf jeden Fall gut investiertes Geld!
Wer mehr zur Medizin in Mainz wissen will, wirft am besten einen Blick in Dumont, Franz [u.a.]: Moguntia medica
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Frank Hüther arbeitete bis April 2023 im Universitätsarchiv.