Ob es um die Ernährung, das Einkaufsverhalten oder den täglichen Weg zur Uni geht – im Alltag zeigt sich, wie komplex die Themen Klimawandel und Umweltschutz sind. Auch im Mainzer Wissenschaftsbetrieb spiegelt sich diese Vielfalt wider.
Wir haben recherchiert, was sich in den Laboren und Seminaren der JGU tut, mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gesprochen und schreiben darüber im MUB. Heute könnt Ihr lesen, was ein Dammbruch in Brasilien mit unserem täglichen Leben zu tun hat, wie es mit Gerechtigkeit in Zeiten des Klimawandels aussieht und warum immer wieder der innere Schweinehund ins Spiel kommt.
Theresa Mentrup (Ethnologie)
Dass die Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz global gedacht werden müssen und regionale oder nationale Alleingänge nicht zum Ziel führen, wird durch die Forschung von Theresa Mentrup klar. Bereits seit Beginn ihres Studiums beschäftigt sich die Ethnologin mit verschiedenen Dimensionen von Mensch-Umwelt-Beziehungen in Brasilien. So auch in ihrem Dissertationsprojekt, das sich mit dem Dammbruch von Brumadinho (Minas Gerais/Brasilien) im Januar 2019 auseinandersetzt. Es geht dabei unter anderem um das Verhalten der brasilianischen Regierung, der von ihr bereitgestellten Hilfeleistungen und den Versuch, nach einem solchen Ereignis so etwas wie Alltag einkehren zu lassen.
Natürlich kann man sich fragen, welche Relevanz eine solche Katastrophe in Brasilien für unser Leben in Deutschland hat – „erschreckend viel”, wie Mentrup betont. So etwa habe ein brasilianisches Tochterunternehmen des deutschen TÜV Süd das im letzten Jahr kollabierte Rückhaltebecken in Brumadinho wider besseren Wissens für sicher befunden – auch ein Mitarbeiter des deutschen Mutterkonzerns sei im Bilde gewesen und wurde nun wegen Bestechlichkeit angeklagt. Wie wichtig ihnen Nachhaltigkeit ist, betonen all diese Unternehmen öffentlich. Das Beispiel zeige eindrücklich, so Mentrup, dass das Siegel der Nachhaltigkeit durchaus mit der Ignoranz gegenüber einer sozialen Verantwortung einhergehen kann: „Viele Facetten von Nachhaltigkeit fordern einen hohen Preis, den nicht selten ärmere Menschen aus Ländern des ‚Globalen Südens‘ unter extrem ungleichen Bedingungen bezahlen müssen. ‚Grüner Strom‘ etwa wächst ja nicht unbedingt auf dem Baum.“
Daher ist es der Ethnologin wichtig, den Begriff Nachhaltigkeit kritisch zu hinterfragen: Was bedeutet er in anderen kulturellen und sozialen Kontexten? Inwieweit und zu welchen Zwecken wird er (politisch) instrumentalisiert? Abgesehen von ihrer kritischen Perspektive helfe die Ethnologie dabei, alternative wie kreative Lösungsansätze für die Klimakrise aufzuzeigen.
Neben ihrer Forschung vermittelt Mentrup auch in ihrer Lehre diese Themen: So gibt sie in diesem Semester ein Seminar zum Thema Mensch-Umwelt-Beziehungen, baut für Ihre Promotion Kontakte zu Akteuren der „organisierten Zivilgesellschaft“ und zu Journalistinnen und Journalisten aus verschiedenen Ländern auf. Damit will sie ihre Ergebnisse auch einem breiteren Publikum zugänglich machen. Mentrup ist wichtig, dass nicht nur auf wissenschaftlicher Ebene, sondern auch in der Praxis eng(er) zwischen Deutschland und Brasilien zusammengearbeitet wird und dass die beiden Ebenen lernen zu kooperieren.
Inwieweit sich Fridays for Future auf ihre Arbeit auswirkt, kann Mentrup schwer einschätzen. Ihre Forschung habe auf jeden Fall ihr Nischendasein hinter sich gelassen und sei anschlussfähiger an aktuelle gesellschaftliche Debatten geworden. Auch auf ihren persönlichen Forschungsalltag hat sich Fridays for Future ausgewirkt: „Was sich tatsächlich für mich verändert hat, ist die Frage der Durchführbarkeit meiner Forschung, die Notwendigkeit der Präsenz vor Ort und das damit verbundene viele Fliegen. […] Dahingehend befinde ich mich forschungstechnisch wirklich in einem Konflikt mit meinem Gewissen. In dieser Hinsicht hat FFF sicher nochmals mein Bewusstsein geschärft – und das eben beschriebene Dilemma spürbar vergrößert.“ Mentrups Beispiel macht deutlich: Die Wissenschaft untermauert nicht nur die Forderungen von Fridays for Future, die Bewegung beeinflusst auch die Forschung.
Univ.-Prof. Dr. Gerhard Kruip (Katholische Theologie)
Mit einer Frage, die sich vermutlich jeder von uns einmal stellt, befasst sich Theologieprofessor Gerhard Kruip: Welche Umwelt hinterlassen wir kommenden Generationen? Klingt für euch überraschend weltlich? Aber Nachhaltigkeit, Globalisierung und Umweltethik sind eben auch wichtige moralische und sozialethische Fragen und somit Gegenstand der Theologie.
Es geht bei Kruips wissenschaftlicher Arbeit viel um Verantwortung und Abwägen von Gerechtigkeit. Der Theologe hat die Hoffnung, dass seine Forschung zum Überdenken des eigenen Verhaltens oder sogar zu politischem Engagement im Bereich Umweltschutz führt. Denn auch, wenn man heute nicht mit Bestimmtheit sagen kann, welche Interessen künftige Generationen haben werden: Kruip ist davon überzeugt, dass seine wissenschaftliche Argumentation dazu beitragen kann, dass sich Menschen darüber klarwerden, inwieweit und warum sie Verantwortung für kommende Generationen übernehmen sollen und müssen.
Woran Kruip gelegen ist: seine Forschung auch über die eigenen Fachgrenzen publik zu machen. Unter anderem hat er letztes Jahr den Band Neo-Extraktivismus in Bolivien – Chancen, Risiken, Nachhaltigkeit mit herausgegeben und 2020 den Aufsatz Verantwortung im ‚Anthropozän‘ verfasst. Außerdem vermittelt er sie in seinen Vorträgen: Beispielsweise sprach er über Transformation zur Nachhaltigkeit – Sozialethische Impulse bei der Tagung Landwirtschaft im Klimawandel im Februar 2020 in Münster.
Wegen seines wissenschaftlichen Schwerpunkts – der Christlichen Sozialethik – besteht seine Zielgruppe vor allem aus kirchlich sowie politisch engagierten Christen. Dies hat sich in den letzten Monaten geändert: Durch Fridays for Future und dem Q+-Programm der JGU kommen zunehmend auch Studis anderer Fächer auf den Sozialethiker zu.
Dr. Ingo Gerhartz (Philosophie)
Dr. Ingo Gerhartz, Lehrbeauftragter für Philosophie, beschäftigt sich mit unserem hartnäckigsten Begleiter: dem inneren Schweinehund. Wir finden schnell Ausreden, fangen an zu zweifeln, ob sich Veränderungen in unserem Alltag überhaupt lohnen. Das gilt auch für den Umweltschutz: „Muss ich jetzt wirklich etwas tun? Macht unser Handeln überhaupt einen Unterschied?“ Gerhartz ist der Überzeugung: „Ja, macht es – und wenn schon nicht auf globaler Ebene, dann zumindest für uns selbst!“
Der Klimawandel zeige, dass es so nicht weitgehen kann; am Ende leiden wir alle an den Folgen unserer Untätigkeit. Aber „oft reicht schon ein ganz kleiner Anfang: Wenn ein Mädchen aus Schweden eine weltweite Bewegung lostreten kann, indem sie freitags nicht zur Schule geht, dann können wir ja wohl den Müll trennen.“ Durch das Hinterfragen des eigenen Konsumverhaltens erziehen wir uns Schritt für Schritt zu einem bewussteren Leben.
Der praktische Philosoph setzt sich im Bereich der ökologischen Ethik mit den Grundlagen und Ursachen von nachhaltigem Handeln auseinander. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem Naturphilosophie und philosophische Ökologie – und die Frage, „warum wir leider oft nicht tun, was wir tun sollten“. Zwar beschäftigt sich die Philosophie seit ihren Anfängen mit dem Verhältnis des Menschen zur Natur, trotzdem mangele es immer noch bei der Umsetzung des Naturschutzes. Neben einer Erkenntnis der Naturzusammenhänge sei eine ganz persönliche Entscheidung zum Handeln notwendig: „Den Anfang des Handelns macht immer eine Entscheidung. Wie wir uns selbst zu Menschen machen, die beides in Einklang bringen können, ist als Kernkompetenz allerdings in Vergessenheit geraten.“
Gerhartz will „Werkzeuge an die Hand [...] geben, um sich selbst (sei es nun als Einzelperson, als Gesellschaft oder als Gesamtheit der Natur) so zu gestalten, dass man der Einsicht in ökologische Zusammenhänge auch Taten folgen lassen kann.“ Diese Werkzeuge vermittelt er beispielsweise im vergangenen Wintersemester im Proseminar Philosophische Grundlagen der Ökologie. Er greift dabei auf klassische Texte von Aristoteles bis hin zu Henry David Thoreau zurück, die angesichts der Klimakrise eine ganz neue Aktualität entwickeln. Um seine Forschung auch den Fachfremden zugänglich zu machen, nutzt er unter anderem Plattformen wie beispielsweise das Studium Generale.
Von Aristoteles zu Fridays for Future
Fridays for Future wirkt sich gleich dreifach auf seine Arbeit aus: Auf den (wissenschaftlichen) Alltag, auf die öffentliche Wahrnehmung und auf seine Selbstwahrnehmung. Die Bewegung habe gezeigt, dass man etwas bewegen kann, wenn man Politik nicht nur den selbsternannten „Profis“ überlasse. Demokratie lebe schließlich von der Beteiligung jedes Einzelnen. Er ist froh, „dass der frühere Kampf gegen Windmühlen vorüber ist und jeder Impuls zur Veränderung nun auf eine immer größer werdende Menge von Gleichgesinnten, Projekten und Strukturen zurückgreifen kann.“
Gerhartz selbst engagiert sich im Bereich Umweltschutz: Er ist bei den Scientists for Future und in einer Arbeitsgruppe zum Thema Nachhaltigkeit im Regionalbündnis Soonwald-Nahe e. V. aktiv. Zur Zeit arbeitet er außerdem bei einem von Parents for Future organisierten Vortragsprogramm zum Thema Klimawandel an der VHS Mainz.
Univ.-Prof. Dr. Barbara Thums (Germanistik)
Die Literatur macht sichtbar, was eine Gesellschaft bewegt. Das gilt auch für Themen wie den Klimawandel, Umweltschutz und Nachhaltigkeit, mit denen sich die Germanistikprofessorin Barbara Thums in literatur- und wissensgeschichtlicher sowie systematischer Perspektive auseinandersetzt. Ihre Disziplin bearbeitet mit der Literatur einen Gegenstand, „der für den kommunikativen Austausch, die Analyse und Bewertung von gesamtgesellschaftlich relevanten Themen eine zentrale Rolle spielt und weil die Literaturwissenschaft hierfür relevante Kompetenzen vermittelt.“
Diese vermittelt Thums in forschungsorientierten Lehrveranstaltungen, in denen sie sich beispielsweise mit Themen wie Umwelt, Natur, Tourismus, Romantik sowie Idylle, aus denen dann ihre wissenschaftlichen Vorträge und Publikationen hervorgehen. So hat sie beispielsweise 2019 die Tagung Mensch und Umwelt in der Literatur Annette von Droste Hülshoffs und Ihrer Zeit (PDF) in Mainz organisiert. Inwieweit Fridays for Future die öffentliche Wahrnehmung ihrer wissenschaftlichen Arbeit beeinflusst, kann Thums schwer einschätzen. Aber: Das Interesse an der universitären Lehre im Bereich Nachhaltigkeit ist sehr groß und nimmt stetig zu.
Generell geht es Thums darum zu zeigen, dass „Literatur immer schon ein Medium der Reflexion von Natur-Kultur-Beziehungen und damit auch von Mensch-Umwelt-Beziehungen ist.“ Theoretische Konzepte wie Environmental Humanities, New Materialism, Ecocriticism sowie Animal und Plant Studies spielen dabei eine gewichtige Rolle. Da ihre Lehrveranstaltungen aber vor allem von Lehramtsstudierenden besucht werden, schafft Thums damit auch die Voraussetzungen für eine intensivere schulische Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit.
Die Forschung von Mentrup, Kruip, Gerhartz und Thums verdeutlicht: Die Geisteswissenschaften leisten einen wichtigen Beitrag in der Auseinandersetzung mit Klimawandel und Nachhaltigkeit. Sie stellen neue Fragen, die zahllose Bereiche unseres Lebens berühren und richten den Scheinwerfer auf Themen wie Klimagerechtigkeit, die mit nackten Zahlen alleine nicht zu greifen sind. Geisteswissenschaftliche Forschung liefert Ansätze und Methoden, sich mit der Umwelt aus globaler Perspektive auseinanderzusetzen. Sie hilft uns aber auch, unser eigenes individuelles Handeln neu einzuordnen. Und geben damit ganz nebenbei eine Antwort auf die Frage nach der Relevanz der Geisteswissenschaften.
Habt ihr euch im Rahmen eures Studiums mit den Themen Nachhaltigkeit, Klimawandel oder Umweltschutz beschäftigt? Forscht ihr in diesem Bereich vielleicht? Dann meldet euch bei uns! Das MUB gibt euch gerne eine Plattform, eure Projekte vorzustellen!
(Headerfoto: Theresa Mentrup)
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Stefanie Martin arbeitet in der Bereichsbibliothek MIN.