Schaut man sich die Gutenberg-Büste auf dem Forum an, hat der Bart in Mainz offensichtlich eine lange Tradition. Trotzdem sorgten Bärte in der Geschichte der JGU auch schon für einigen Ärger, aber auch Erheiterung. Heute will ich euch eine Geschichte erzählen, aber nicht irgendeine, sondern eine Geschichte mit einem langen Bart.
Wenn ich heute über den Campus gehe, sehe ich in vielen Gesichtern Bärte. Da gibt es Dreitagebärte, penibel gestutzte und in Form gebrachte Bärte, buschige Vollbärte, seltener Schnurrbärte. Gefühlt lässt mehr als die Hälfte aller männlichen Studis und Dozenten das Gesichtshaar in den verschiedensten Formen sprießen. Der Bart ist seit einigen Jahren eben wieder „in“ – vom Hipster bis zum Familienvater. Für uns heute ganz normal und kein Grund zur Empörung.
Ende der Fünfziger sah die Welt allerdings anders aus. Bärte waren damals eher die Ausnahme als die Regel und wer einen gepflegten Bart trug, galt schnell als Snob. Mitten in diese Zeit fällt eine geradezu haarsträubende Aktion zu dem der Mainzer AStA im Dezember 1957 aufrief. Schnell stürzten sich alle möglichen großen und kleinen Zeitungen auf das Thema. Von der Welt, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung bis zur Boulevardpresse, von der Zeit bis zum Hintertupfinger Tageblatt. Sogar einige ausländische Zeitungen wollten sie über den „Mainzer Bartstreik“ berichten. Die Zeitungsartikel sprossen wie Barthaare aus der Presselandschaft. Sie hatten Titel wie Studenten unrasiert, Bärtiger Protest der Mainzer Studenten, Studenten mit Biber oder Akademisches Kampfmittel Vollbart. Unrasierte Studenten – einfach unerhört sowas!
Vollrasur für Justitia
Doch wie wurde das Gesichtshaar zum Politikum? Kurze Antwort: Die Hochschulgesetzgebung des Landes Rheinland-Pfalz sollte – um es mit den Worten des Westberliner Tag zu sagen – „weniger bärtig“, also weniger veraltet werden. Die lange Antwort: In Rheinland-Pfalz wurde bereits seit Anfang der fünfziger Jahre ein neues Hochschulgesetz ausgearbeitet. 1957 stand dieses endlich in seinen letzten Zügen. Der hiesige Landesverband des Vereins Deutscher Studentenschaften nahm dies zum Anlass, eigene Forderungen zu stellen: Mitarbeit bei der Ausarbeitung des Hochschulgesetzes, Sitz und Stimme im Senat und im Wirtschaftskuratorium der Universität. Eigentlich auch zu dieser Zeit keine weltfremden Forderungen, wenn man bedenkt, dass ein studentisches Mitspracherecht in diesem Umfang an anderen deutschen Universitäten bereits längst üblich war. Doch in Mainz tickten die Uhren anders. Kultusminister und Professorenschaft lehnten eine Mitsprache der Studierenden grundsätzlich ab. Sie sollten auch nicht über Inhalte der Verhandlungen zwischen Universität und Ministerium oder die Inhalte des neuen Hochschulgesetzes informiert werden, bevor die Gesetzesvorlage dem Landtag vorliege. Warum auch. Denn was können unrasierte Studis schon zu einem Gesetz beitragen?
Abnicken statt Mitsprechen?
Der Senat der JGU wirkte natürlich am neuen Gesetz mit. Auf mehreren Sitzungen wurde über die Gesetzesvorlage beraten, bei Besprechungen zwischen dem Kultusminister und dem Rektor der Mainzer Universität sowie einem weiteren Vertreter des Senats konnte das Hochschulgesetz diskutiert und eigene Wünsche eingebracht werden. Der damalige Rektor Friedrich Delekat lehnte es ab, die Forderungen der Studierenden beim Kultusministerium zu vertreten. Er verwies dabei auf die von ihm praktizierte Regelung, die Tagesordnungspunkte der Senatssitzungen vorher mit Vertretern der Studierendenschaft auf „Studentische Punkte“ durchzusprechen. Das sei Mitsprache genug. Der Haken an der Sache: Weder unter Delekat noch unter seinen Vorgängern wurde diese Regelung ernsthaft praktiziert. Was „Studentische Punkte“ waren, definierte der Rektor außerdem selbst. Diese Ignoranz brachte für die Studis das Fass zum Überlaufen.
Noch am selben Abend gab der AStA in zahlreichen Flugblättern bekannt, dass seine Mitglieder und andere Vertreter der studentischen Mitverantwortung sich "zur dauernden Mahnung" an die Forderung nach Sitz und Stimme und "aus stummem Protest" nicht mehr rasieren, bis der Standpunkt der Studierenden berücksichtigt wird. Oder zumindest bis zum Ende des Wintersemesters 1957/58. Abgesehen von einem ersten Kommentar der Mainzer Allgemeinen Zeitung Mainz, die den Protest als „lächerlich“ bezeichnete, war das große Medienecho durchweg positiv. Aber was wollte man von einer Lokalzeitung aus dem damals konservativen Mainz auch erwarten, die in ihren Artikeln konsequent den Namen des Mainzer Rektors falsch schrieb… Über Wochen hinweg gab es etwas zu berichten. Die Protestform wurde als originell und kreativ gefeiert, die Gründe für den Protest wurden erörtert, mit Belustigung wurde aufgenommen, dass sich auch die Studierendenvertretung des Auslands- und Dolmetscherinstituts in Germersheim, deren Vorsitz eine Studentin führte, nicht mehr den Bart rasieren wolle.
Alles nur geklaut
Dabei gab der AStA selbst zu, dass diese Protestform gar nicht so neu und originell ist, wie es auf den ersten Blick aussieht. Schon Griechen und Römer ließen sich aus Protest und Trauer den Bart wachsen. Während des Zweiten Weltkrieges schworen Widerstandskämpfer in den Niederlanden und Serbien als Mittel des passiven Widerstands, ihr Barthaar bis zum Abzug der Deutschen nicht mehr anzurühren. Gandhi hingegen machte es genau andersherum: Obwohl der Bart in Indien bei manchen Kasten heilig ist, ließ er sich während des Widerstands gegen die Engländer aus stummem Protest den Bart abnehmen.
Was aber wurde aus dem Mainzer Bartstreik? Letztlich einigte man sich nach längerem Hin und Her auf einen Kompromiss. Rektor Delekat erklärte sich wieder zu Verhandlungen bereit und die Mitwirkung der Studierenden innerhalb der Universität wurde später im Hochschulgesetz geregelt und die studentische Mitbestimmung war gesichert. Damals war der Bart hochschulpolitisch offensichtlich ein scharfes Schwert im Kampf der Studierenden für mehr Mitbestimmung. Heute auch noch? Würden ein paar Bärtige mehr oder weniger im Hörsaal für Aufregung sorgen? Das wage ich zu bezweifeln.
Und Ihr? Bei was habt Ihr den Schnauzer voll?
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Lukas Schwenk studiert Geschichte und schrieb für das MUB im Rahmen seines Praktikums im Universitätsarchiv.