Studieren, das bedeutet für viele die beste Zeit ihres Lebens: das Elternhaus verlassen, Feiern, Reisen. Doch dieses Semester ist alles anders. Abgesehen von digitalen Vorlesungen und Seminaren ist das Studentenleben komplett zum Erliegen gekommen. Trotzdem haben sich zum Wintersemester 2020/21 wieder Tausende an der Universität Mainz eingeschrieben. Wie ist es ihnen ergangen? Welche Möglichkeiten haben sie, vor welchen Problemen stehen sie? Um das herauszufinden, habe ich Ende Januar drei Interviews geführt.
Der Mainzer Campus liegt verwaist da, gleicht einer Geisterstadt. Man fühlt sich wie in einem Western und kann schon fast spüren, wie die Steppenläufer durch die Luft wirbeln. Dort, wo sonst hunderte Studierende über den Platz wuseln, herrscht nun gähnende Leere. Ab und zu verirrt sich ein einzelner auf das Gelände, vielleicht auf dem Weg zur Universitätsbibliothek, die unter strengen Auflagen als einzige noch öffnen darf. Aber mehr als Medien abholen und zurückbringen, Scannen und Kopieren geht auch hier momentan nicht. Viele Erstsemester sind gar nicht erst zu ihrem Studienort angereist, da es sich ja sowieso nicht lohnt oder aber – bei den ausländischen Studierenden – die Hürden zu hoch sind.
Ich erinnere mich noch gut an meinen Studienbeginn, meine Ängste und Zweifel. Hatte ich das richtige Fach gewählt? Würde ich mich an der Hochschule zurechtfinden? Aber von Anfang an standen mir Gleichgesinnte zur Seite. In dieser Zeit knüpfte ich Freundschaften, die bis heute halten. Was machen Erstsemester in der jetzigen Ausnahmesituation? Solche persönlichen Kontakte sind derzeit nicht möglich, man kennt sich nur virtuell. Wie ergeht es Studierenden aus dem Ausland? Und wie kommen diejenigen zurecht, die finanziell auf einen Nebenjob angewiesen sind in einer Zeit, in der sich ganze Branchen wie zum Beispiel die Gastronomie im Lockdown befinden?
Schwimmen nur in der Theorie
Jonas Barz studiert im ersten Semester Geschichte und Sport auf Lehramt. Ich verabrede mich mit ihm über Skype. Mich interessiert besonders, wie er die Situation als Studienneuling empfindet und wie man Sport digital studieren kann.
Der Lehramtsstudent wohnt nach wie vor in seinem Heimatort in Kirchheim-Bolanden. Auch ohne Corona wäre er erst einmal dort wohnen geblieben, nun entfällt für ihn die lästige Pendelei. Daheim hat er seine Freunde und Familie und sogar einen Job – den fand er zum Glück schon vor Corona. Den Campus hat er sich das erste Mal im August angesehen, als Vorbereitung auf sein Studium. Damals war alles noch etwas lebhafter.
Wie Jonas berichtet, verlief sein Start ins Studium im November 2020 relativ problemlos, in Geschichte gab es Online-Informationsveranstaltungen (organisiert von Studienmanager Dr. phil. Andreas Frings, Historisches Seminar) und in Sport ein Einführungsvideo. Die Praxiskurse in Sport wurden Ende letzten Jahres sogar noch in Präsenz auf dem Campus durchgeführt. Hier hatte Jonas die Gelegenheit, seine Sport-Dozentinnen und -Dozenten und seine Mitstudierenden persönlich kennenzulernen. Derzeit finden aber auch diese Kurse nur noch online statt. „Uns wird jede Woche eine andere Sportart theoretisch erklärt“, berichtet er mir. Im Seminar Gymnastik/Tanz muss Jonas sogar einen Partner-Tanz zusammen mit einer Kommilitonin einüben – alles über Skype. Das Vortanzen soll dann aber ausnahmsweise in Präsenz stattfinden. Prüfungen musste Jonas bisher noch keine absolvieren, das folgt dann erst im nächsten Semester.
Leichter als gedacht
Der Studienanfänger sieht durchaus auch Positives in der derzeitigen Situation: „Mir fällt das Studium leichter als gedacht. Asynchrone Vorlesungen sind eine Woche lang online, so dass ich mich zeitlich sehr gut organisieren kann. Ich kann sie mir ansehen, wann ich will und mir auch komplett freie Tage legen. Ich würde mir wünschen, dass auch nach Corona die Vorlesungen weiter aufgezeichnet und hochgeladen beziehungsweise die Skripte zum Nachlesen/Nachhören online gestellt werden.” Überhaupt wirkt Jonas sehr entspannt und zufrieden.
Aber auch er sieht natürlich die Nachteile: „Der direkte Kontakt mit den Dozenten ist sehr schwierig, beispielsweise bei Rückfragen. Bei Anfragen per Mail dauert es oft mehrere Tage, bis eine Antwort da ist.“ Auch macht er sich Sorgen wegen des anstehenden Semesters. Im Stundenplan steht dann unter anderem Schwimmen, aber wie soll das gehen? Die Schwimmhalle des Instituts für Sportwissenschaft ist derzeit sowieso wegen Sanierung geschlossen und eine Öffnung der öffentlichen Schwimmbäder noch lange nicht in Sicht. Jonas befürchtet, dass alles dann nur in der Theorie ablaufen wird. Aber er kann auch nicht alle Kurse auf die kommenden Semester verschieben, denn er will ja mit dem Studium vorankommen. Am Ende muss man es nehmen, wie es kommt und das Beste daraus machen, davon ist Jonas überzeugt.
Eine Wand, die uns trennt
„Am 30. Oktober um 10 Uhr nachts erhielt ich die E-Mail mit dem Uni-Newsletter und der Botschaft Wir starten digital ins Wintersemester“. Man merkt Daniele Carlucci seine Ergriffenheit an, als er mir in unserem Videotelefonat über Teams davon erzählt. Dabei hatte er davor noch große Hoffnungen auf ein halbwegs normales Studium, denn die Willkommenswoche auf dem Campus Germersheim fand als Hybrid-Veranstaltung statt, auch das Semester war so geplant. Daniele nahm in Präsenz teil und nutzte die Gelegenheit, um das Unigelände und andere Studierende kennenzulernen. Die Mail Ende Oktober machte alle seine Erwartungen zunichte.
Daniele hat gerade sein Masterstudium am Fachbereich 06 begonnen, seine Fächer sind Italienisch, Deutsch und Französisch. Das Studium gefällt ihm recht gut, da es sehr praxisorientiert ist und er selbständig arbeiten kann. Das Bachelorstudium in Italien war viel zu theoretisch und eher eine Enttäuschung. Mit dem digitalen Unterricht und den Kursen kommt er gut zurecht, sowohl mit den synchronen als auch mit den asynchronen Veranstaltungen. „Beides hat Vor- und Nachteile. Bei den synchronen Kursen gibt es eine dauerhafte Kommunikation, einen Meinungsaustausch, bei den asynchronen viel Stoff zu lesen und Gruppenarbeit.“ Auch die Kommunikation mit den Dozierenden lobt er: „Sie stellen in den Kursen viele Rückfragen an uns und manche nutzen Moodle mit der Möglichkeit, sich in Diskussionen und Forumsbeiträgen auszutauschen.“
Der Masterstudent wohnt im Wohnheim direkt auf dem Germersheimer Campus. Dieser ist seit Wochen wie ausgestorben. Immerhin die Bibliothek ist noch geöffnet. “Sie ist der einzige Grund, warum es sich derzeit lohnt, hier am Campus zu sein. Anfangs war auch die Mensa noch geöffnet. Dies war meine einzige Möglichkeit, mit anderen Studierenden in Kontakt zu treten“. Von seinem Zimmer aus sieht Daniele ab und zu jemanden von weitem über das menschenleere Unigelände laufen, den er sonst nur digital vom Bildschirm her kennt. „Das ist wie im Schaufenstermodus, wie eine Wand, die uns trennt“. Neulich ging es ihm auch so mit einer Kommilitonin – aber er traute sich nicht, aus dem Fenster zu rufen und sie anzusprechen, dazu ist die Distanz zu groß.
Soziale Kontakte sind wichtig
Daniele sieht einen starken Unterschied zwischen dem Online-Kontakt und einem persönlichen Gespräch: „Man muss mit Absicht private Dinge ansprechen, die Spontanität fehlt“. Trotz der fest geplanten Agenda der digitalen Kurse, Gruppenarbeiten und Besprechungen gibt es aber immer wieder Gelegenheit, mal vom Thema abzuweichen. „Alle sind müde vom Online-Unterricht. Man versucht, das Eis zu brechen und spricht kleine persönliche Details an, die einem auffallen, zum Beispiel wenn eine Katze im Hintergrund durch das Bild läuft.“
Sein Hauptproblem ist derzeit eindeutig die soziale Komponente. Im Moment hat er nur eine Kontaktperson am Campus, mit der er ab und zu gemeinsam Kaffee trinkt. Ein Teil seiner Familie wohnt in Italien, er hat sie seit Monaten nicht gesehen. Seine Mutter und sein Bruder leben in Baden-Württemberg, so musste er zum Glück Weihnachten nicht allein verbringen. Aber auch sie kann und will er im Moment nicht besuchen, wegen der Ein-Personen-Regelung und des Risikos, mit dem ÖPNV zu fahren. „Das soziale Leben sollte dringend wieder an den Start gehen!“, Danieles Stimme wird eindringlich. „Es ist wichtig, dass man wieder Menschen sieht, soziale Isolation ist sehr gefährlich für die Psyche.” Er findet, dass man sich schon jetzt Gedanken machen sollte, wie das kulturelle Angebot in Zeiten von Corona aussehen könnte und schlägt eine Kooperation zwischen Gemeinde und Universität vor, beispielsweise um ein Open-Air-Kino auf dem Campus zu organisieren.
Einen kleinen Lichtblick gibt es für Daniele: Er hatte das Glück, im Januar einen Job im Einzelhandel als Werkstudent zu finden. Somit ist er finanziell abgesichert und kann in Germersheim bleiben. Außerdem kommt er mal raus und spürt „menschliche Präsenz”. Nun hofft er sehr, dass sich die Situation bald bessert.
Ich vermisse den Körperkontakt
Fernanda Bloise weiß noch, wie es an der Uni Mainz vor Corona war. Sie ist viel ausgegangen und stand in regem Kontakt mit ihrer Community aus Brasilien beziehungsweise mit anderen Studierenden aus Lateinamerika. „Wir Latinos lieben Partys“, dass ihre Augen leuchten ist sogar über Teams nicht zu übersehen. „Ich habe viele Leute aus Lateinamerika kennengelernt und sogar Spanisch gelernt. Jetzt gibt es keine privaten Treffen mehr.“
Die Brasilianerin kam Ende 2018 zum Studienkolleg nach Mainz und studiert mittlerweile im dritten Semester Geschichte und Audiovisuelles Publizieren. Vorher hatte Sie in Rio de Janeiro eine deutsche Schule besucht und danach mit einem Geschichtsstudium auf Lehramt begonnen. Da die Perspektiven für Lehrkräfte in Brasilien aber eher düster sind, wurde sie von ihren Lehrerinnen und Lehrern überredet, zum Studium nach Deutschland zu gehen. Dies war für die schüchterne Studentin ein sehr großer Schritt, aber ihre Eltern unterstützten sie und begleiteten sie sogar beim Umzug in das fremde Land. Ihre Aufnahmeprüfung konnte Fernanda bereits in Rio absolvieren, aufgrund des Kooperationsabkommens der JGU mit deutschen Schulen in Brasilien.
Normalerweise hat Fernanda sehr guten Kontakt zu allen Brasilianerinnen und Brasilianern, die in Mainz ihr Studium beginnen. „Ich weiß jedes Jahr, wer aus meiner Schule nach Deutschland kommt und habe die Neuen auch immer begleitet und in alles eingeführt.“ Aber seit einem Jahr kam niemand mehr zum Studienkolleg. Nun soll es immerhin wieder losgehen. Die Aufnahmeprüfungen fanden bereits im Oktober in Brasilien statt, im Februar soll dann das Studium in Deutschland beginnen. Aber diesmal werden nicht alle nach Deutschland anreisen, da die Veranstaltungen nur online stattfinden. Auch Fernanda kann mit den Studienanfängerinnen und Studienanfängern erstmal nur virtuell in Kontakt treten.
Bei ihrem eigenen Studium steht die Studentin im Moment ebenfalls vor großen Herausforderungen: „Es gibt keinen persönlichen Kontakt mehr zu den Dozentinnen und Dozenten, man kann nicht direkt nachfragen, wenn etwas unklar ist. Das ist für mich gerade wegen der Grammatik oft sehr schwierig und die Antwortzeiten auf eine E-Mail sind zum Teil sehr lang.“
Sehnsucht nach der Heimat
Man merkt der Einundzwanzigjährigen das Heimweh an, als sie mit feuchten Augen erzählt: „Hier ist es im Moment sehr kalt und es gibt keine Sonne. In Brasilien haben wir zu dieser Jahreszeit nicht weniger als 19 Grad“. Doch es ist nicht nur das Wetter, das ihr zu schaffen macht. „Vorher war ich glücklich in Deutschland, seit Corona ist es für mich sehr schwierig.“ Gerade jetzt machen sich auch die kulturellen Unterschiede stärker bemerkbar. Dabei wurde Fernanda bereits in ihrer Schule in Brasilien bestens darauf vorbereitet und konnte auch aus dem Kurs Beyond Clichés FORTHEM – Students at European Universities in Intercultual Exchange des Fachbereichs 02 viel Nützliches mitnehmen. Vor allem eines: „Wir Latinos haben – anders als hier in Deutschland – viel Körperkontakt, gerade den vermisse ich jetzt besonders.“ Wegen Corona muss sie aber selbst zu ihren Landsleuten Abstand halten. Wie etwa, als sie sich letzten Sommer mit einem brasilianischen Kommilitonen zu einer Gruppenarbeit traf und sie die ganze Zeit auf Distanz blieben. „Das fühlte sich total seltsam an“.
Die Studentin war Mitte Februar 2020 das letzte Mal in Rio de Janeiro. Wegen der Quarantänebestimmungen verlängerte sich ihr Aufenthalt unfreiwillig bis zum Sommer. Gerne würde sie momentan wieder in die Heimat fliegen, aber noch herrscht eine Reisewarnung der Bundesregierung verbunden mit Quarantänepflicht für Rückkehrer. Die Situation in Brasilien ist derzeit immer noch sehr angespannt und sorgt regelmäßig für Schlagzeilen, der Präsident und Corona-Leugner Bolsonaro verharmlost nach wie vor die Pandemie und erst auf Druck der Gouverneure konnte im Januar mit den Impfungen begonnen werden. Zum Einsatz kommt der chinesische Impfstoff Coronavac, der in Brasilien hergestellt wird. „Ich habe in Brasilien noch vier Großeltern, diese sollen im Februar geimpft werden“, berichtet mir Fernanda voller Hoffnung.
Zum Glück wohnt Fernanda in einer WG mit zwei deutschen Mitbewohnerinnen. Die drei verstehen sich sehr gut und hatten letztes Jahr sogar eine gemeinsame Reise nach Brasilien geplant. „Die Tickets waren schon gekauft“, seufzt Fernanda. Corona machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Immerhin hält sie über eine WhatsApp-Gruppe weiterhin Kontakt zu circa 40 anderen Landsleuten aus Brasilien, die derzeit an deutschen Hochschulen studieren, neben Mainz unter anderem in München, Nürnberg und Darmstadt. So fühlt sie sich nicht ganz so allein und hofft sehr, alle bald wieder persönlich zu treffen und in den Arm nehmen zu können.
Die Hoffnung aber bleibt
Bei meinen Interviews bin ich nicht nur drei sehr interessanten Persönlichkeiten, sondern auch drei bewegenden Schicksalen begegnet. Vielen Dank an Fernanda, Daniele und Jonas für ihre Zeit und Offenheit.
Alle drei haben Ihren Weg gefunden, auch unter diesen Bedingungen zu studieren. Trotzdem bleiben Fragen und Wünsche. Sicher ist, dass sie Corona noch eine Weile begleiten wird. Wird Jonas wieder eine Schwimmhalle betreten und seine Schwimmprüfung nicht nur in der Theorie ablegen? Wird Daniele seine Mitstudierenden endlich persönlich kennenlernen und mit ihnen gemeinsam Veranstaltungen besuchen? Wird Fernanda mit ihren Freundinnen und Freunden aus Südamerika wieder alle Partys unsicher machen und ihren Mitbewohnerinnen endlich ihr Heimatland Brasilien zeigen?
So unbeschwert wie früher werden wir uns in nächster Zeit wohl nicht mehr näherkommen können, so schnell wird es keine Partys und Massenveranstaltungen mehr geben. Aber vielleicht wissen wir diese Privilegien dann auch mehr zu schätzen?
Wie läuft Euer Studium? Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht wie Jonas, Daniele oder Fernanda? Schreibt einen Kommentar und erzählt uns davon!
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Ina Kießling ist Bibliothekarin und arbeitet an der UB Mainz im Bereich Informationskompetenz. Ihr Schreibtisch steht in der Bereichsbibliothek TSK in Germersheim.