Um Interviewpartner für meinen letzten Artikel zu finden, startete ich im Januar einen Aufruf in den sozialen Medien. Niemals hätte ich erwartet, dass mich ausgerechnet eine E-Mail aus der Türkei erreichen würde.
Sibylla Wolfgarten, Koordinatorin des Arbeitsbereichs Türkisch am Fachbereich 06 in Germersheim teilte meinen Post auf Facebook und brachte ihre Bekannte Saskia M. Bahner auf die Idee, das Thema meines Artikels Die Hoffnung aber bleibt in ihren Unterricht einzubauen.
Frau Bahner lehrt Deutsch an der Universität Mersin, einer der ERASMUS-Partnerhochschulen der Uni Mainz. Sie bat ihre Studierenden der Vorjahresstufe des Faches Dolmetschen und Übersetzen (deutsch-türkisch) zu schreiben, wie sie ihr erstes Online-Semester erlebt haben: „Wir wollten auch einen kleinen Beitrag leisten und vielleicht ist es für andere Studierende eine Motivation, zu sehen, dass es uns allen momentan gleich geht.” Obwohl alle erst seit knapp vier Monaten Deutsch lernen, fanden sie die richtigen Worte, um in der fremden Sprache ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken. Es entstanden interessante und bewegende Berichte.
„Hallo und liebe Grüße aus Mersin/Türkei“
Nach dem Gymnasium und der jahrelangen Vorbereitung auf die Universitätsprüfung sollte mit der Immatrikulation ein neuer Zeitabschnitt voller Hoffnungen, Träume und neuer Erfahrungen beginnen. Aber wie sagt man so schön „erstens kommt es anders und zweitens als man denkt“.
Auch für circa 50 Studierende des Vorstudienjahrs der Abteilung für Dolmetschen und Übersetzung an der Universität Mersin bedeutete es diesmal keine neue Stadt und Umgebung, sondern nur neue Freunde am Bildschirm und das Onlinelernen einer neuen Sprache – einfach alles online!
Nach 17 Wochen Unterricht haben wir zum Ende des ersten Semesters das Sprachniveau A2 erreicht und haben unsere Gedanken zu unserem ersten Online-Semester (26 Unterrichtsstunden pro Woche) mit den Studierenden zusammengetragen und wollten unsere Erfahrungen, Gefühle und Gedanken mit euch teilen.
İrem Bal:
Wir studieren zu Hause, weil es Corona gibt. Das ist gut für die Gesundheit, aber wir möchten auch in die Universität gehen oder mit unserem Freunde Kaffee trinken. Ich sehne mich nach der alten Zeit.
Ich wünsche uns, dass alles bald wieder weltweit in Ordnung ist. Wenn alle Leute sich vor Corona vorsehen, hört Corona schneller auf. Nun sollen wir zu Hause warten. Ich gehe nach der Pandemie zuerst ins Konzert oder Kino. Wer schließt sich mir an?
Irem Nur Güllü:
Als es Corona nicht gab, wollten meine Freundin und ich in einer WG zusammenleben.
Wir hatten sehr viele Pläne, aber wir haben die Pläne nicht umgesetzt, denn es gibt Corona.
Wenn Corona aufhört, möchten Buse, Başak, ich und andere Freunde zum Strand gehen und dort Bier trinken.
Sinem Özge Ekber:
Ich würde mit meinen Freunden ins Mackbear gehen und Kaffee trinken und Deutsch lernen. Ich hoffe diese Situation endet bald. Dank der Quarantäne habe ich neue Hobbys erworben.
Kübra Işıkhan:
Unser erstes Semester mit Corona war nicht, wie ich es erwartet habe. Aber ich denke das war nichts Schlechtes. Ich glaube, dass sogar diese Situation mich gut beeinflusst hat. Also ich kann mich nur auf meinen Unterricht konzentrieren. Denn ich weiß, dass ich mit meinen Freunden und Freundinnen ins Café gehen würde, weil wir zusammen in Mersin sein könnten. Mein soziales Leben würde mich am Lernen hindern. Also sollten wir positiv denken. Alles ist nicht so schlimm.
Buse Horuz:
Weil es dieses Jahr Corona gibt, durchleben wir schlechte Zeiten, zum Beispiel haben wir psychologische Probleme. Aber ich hoffe, dass eines Tages Corona zu Ende ist und wir werden uns wieder mit unseren Freunden treffen können. Wir haben viele Pläne vor März gemacht. Wir müssen die Aktivitäten, die gut für uns sind, finden. Wir können eine schlechte Zeit durchleben aber wir müssen uns weiter befleißigen. Wenn wir uns müde fühlen, sollten wir wissen, dass es ausklingen wird.
Rumeysa Çağrıcı:
Es ist sehr traurig, dass es Corona gibt. Ich wohne in Ankara und ich möchte nach Mersin gehen. Ich wollte an das Meer gehen, wenn ich zur Universität gehe (es gibt kein Meer in Ankara und Mersin liegt im Süden der Türkei am Mittelmeer). Ich studiere zu Hause und es ist sehr langweilig.
Ich bleibe jeden Tag zu Hause, deshalb kann ich seit November meine Freundin nicht treffen. Ich ärgere mich, weil alle nach Uludağ (zum Skiurlaub) in den Urlaub gehen. “Können Sie bitte zu Hause bleiben, für unsere Gesundheit.” Ich wünsche mir, dass ich dieses Jahr noch an meine Universität gehen kann. Schade, dass es Corona gibt, aber ich habe spitzen LehrerInnen und liebe Freunde hier kennengelernt.
Als die Universität online begonnen hat, habe ich nur das Wort "das Buch" gewusst, aber jetzt schreibe ich diese Sätze. Ich bin stolz auf mich :) Zum Glück sind wir gesund und mit unserer Familie zusammen.
Başak Ulkar:
Ich ärgere mich über Corona, weil Corona uns begrenzt, deshalb machen wir fast nichts.
Wir haben gedacht, dass das ein schönes Jahr wird, weil wir endlich in die Universität gehen.
Am Anfang dachte ich, dass ich das Vorstudienjahr nicht bestehen kann, weil wir nicht zur Universität gehen können. Aber als unser Unterricht begonnen hat, bemerkte ich, dass der Unterricht effektiv ist.
Wir machen unseren Unterricht trotz aller Schwierigkeiten. Ich finde, dass der Unterricht zu Hause fast besser ist als der Unterricht in der Universität.
Yasin Kosdik:
Ich dachte, dass sich die Situation verbessern würde. Ich hatte erwartet, meine Freunde wiederzusehen. Wir können nur warten und die Quarantäneregeln befolgen, wenn wir unser Leben zurückwollen. Ich habe immer von einem besseren Bildungsjahr geträumt. Es macht mich depressiv, aber ich hoffe, dass eine bessere Zukunft auf uns wartet.
Kerime Burçak Tusgul:
Ich möchte in der Stadt, in der ich studiere, alleine leben. Aber leider lebe ich jetzt immer noch mit meiner Familie. Ich finde, dass man sich bei dem Online-Unterricht nicht nur besser konzentrieren kann, sondern ich denke, dass er auch sehr praktisch ist. Aber ich denke, dass, wenn wir Übung machen, es schwer ist, sie zu kontrollieren. Ich vermisse meine Freunde, weil wir uns nicht treffen können. Wir dachten, dass wir im ersten Jahr immer zu Partys gehen würden. Ich wünsche uns, dass wir uns, so schnell es geht, wiedertreffen. Ich hoffe, dass uns die Stadt, die für uns alle ein Treffpunkt ist, uns auch vermisst.
Berkay Kayrak:
Ich dachte, dass ich für die Uni jeden Morgen um 7 Uhr aufstehen werde. Den Unterricht, den wir in Zoom gemacht haben, ist besser als der Unterricht, den wir in Klasse gemacht haben, weil es in der Klasse kein Mikrofon gibt, das man ausmachen kann und so ist es leise und das hilft sich zu konzentrieren. Ich dachte, dass wir unsere neuen Freunde kennenlernen und wir neue Freundschaften schließen. Das größte Problem, dass das Coronavirus in unserem Leben als Student gebracht hat, sind die Onlineprüfungen, weil bei der Prüfung viele Dinge passieren können. Ich hoffe, dass das Coronavirus so schnell wie möglich endet und wir in unseren Klassen unseren Unterricht weitermachen können.
Berat Akçabelen:
Ich glaubte, dass ich jeden Tag früh aufwachen würde und an die Universität gehen würde. Ich dachte nicht, dass ich um 3 Uhr schlafen würde. Zurzeit würde ich eigentlich in Mersin sein, aber ich bin es nicht. Ich denke daran, warum die Universitäten nicht öffnen, aber leider gibt es auf der ganzen Welt Corona. Ich mag Sport, deshalb hoffe ich, dass ich Sport treiben kann. Ich könnte jetzt Sport treiben, aber ich möchte für meine Familie nichts riskieren, weil ich mich mit Corona anstecken kann, wenn ich Sport treibe.
Esra Karadoğan:
Ich wollte die Stadt, wo meine Universität ist, kennenlernen. Wir dachten, dass wir anders Deutsch lernen würden, also nicht online. Ich konnte nach dem Unterricht nie mit meinen Freunden reden. Ich hoffe, dass wir nächstes Semester neue Erfahrungen sammeln können.
Aslı Gülçiçek Yumuk:
Es ist wirklich schwer Online Unterricht zu machen, weil unsere Internetverbindung oft instabil ist, aber es ist eine Teamarbeit und unsere Lehrer/Lehrerin sind hilfsbereit. Ich hoffe, dass wir mit voller Motivation wieder an Uni gehen.
Batuhan Tuncay:
Ich möchte nach Mersin gehen und alleine leben, aber es ist schade, dass ich mit meiner Familie in Adana leben muss, weil es Corona gibt. Ich hoffe, dass wir bald wieder mit unseren Freunden ohne Discord oder Zoom sprechen können.
Ali Baran Duygu:
Ich hoffe, dass das Virus so schnell endet und wir ohne Angst atmen können.
Habibe Acar:
Ich denke, dass es kein schönes Jahr ist, aber es ist jetzt nicht mehr so schlecht, weil ich mich an alles gewöhnt habe. Wenn die Universität anfängt, möchte ich aktiv werden, aber ich habe keine Hoffnung, dass die Universität in diesem Studienjahr eröffnet, aber ich hoffe, dass sie in Kürze öffnen wird.
Aus der Sicht einer Lehrerin:
2020/21 ist ein Jahr voller neuer Herausforderungen.
Eine neue Sprache lernen/vermitteln, aber dieses Jahr per Onlineunterricht – als wäre die neue Sprache nicht schon Herausforderung genug. Das Internet hängt, Zoom schmeißt einen raus, Stromausfall, das sind nur einige der technischen Probleme, die wir zurzeit alltäglich erleben. Ganz zu schweigen von den Rückenschmerzen wegen des langen Sitzens, Nackenschmerzen oder Augentränen.
Aber Probleme sind dafür da, dass sie gelöst werden und genau nach diesem Motto haben wir uns den Herausforderungen gestellt. Egal, ob ein neues Format für Onlineprüfungen oder neue Methoden für die Sprachvermittlung. Wir durchlaufen alle diese schwierige Zeit und wir haben alle viel gelernt. Alles an dem Onlineunterricht war für jeden Einzelnen von uns etwas Neues. Zusammen mit den Studentinnen und Studenten haben wir eine hervorragende Teamarbeit geleistet und haben versucht, das Beste aus der Situation zu machen.
Sicher ist es schade, dass man sich gegenseitig nur am Bildschirm kennengelernt hat, aber es entstanden andere und neue Beziehungen aus der Ferne. „Wenn du nicht das machen kannst, was du möchtest, dann mache das, was du kannst“, das war in dieser Zeit unser Leitsatz und der beste Beweis sind die obigen Kommentare unserer Studierenden, die nach 17 Wochen Onlineunterricht versucht haben, ihre Gedanken auf Deutsch auszudrücken. Ich denke, dass alle auf sich stolz sein können.
Liebe Grüße aus Mersin
Saskia Maria Bahner
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Saskia M. Bahner ist gebürtige Deutsche und lebt seit 2004 in Mersin (Türkei). Sie ist Lehrbeauftragte an der Universität Mersin und unterrichtet Deutsch in der Vorjahrstufe.
Ina Kießling ist Bibliothekarin und arbeitet an der UB Mainz im Bereich Informationskompetenz. Ihr Schreibtisch steht in der Bereichsbibliothek TSK in Germersheim.