Als bei der Hamburger Rektoratsfeier 1967 zwei Studenten ein Transparent mit der Aufschrift "Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren" entrollten, konnten sie nicht ahnen, dass sie damit den wohl bekanntesten Slogan der Studentenbewegung schaffen würden.
Der Protest der Studenten richtete sich gegen die schlechten Zustände im Bildungswesen und gegen die Dominanz der Ordinarien an den Universitäten. Nicht zuletzt spielte der Slogan auch auf die unbewältigte und tabuisierte NS-Vergangenheit der Universitäten an.
Die Talare wurden somit für die Studentenbewegung zu einem Symbol für die alte, reformbedürftige Universität. Als Folge der Modernisierung und Reform der Universitäten, die nicht zuletzt auch durch die Proteste der Studentenbewegung angestoßen wurde, wurden die Talare seit dem Ende der 1960er-Jahre an vielen Universitäten – so auch in Mainz – abgeschafft.
Dabei reichte die Tradition der Talare bis in die Zeit der ersten Universitäten im Mittelalter zurück. Das knöchellange Gewand (der Name leitet sich von lat. talus, Knöchel, ab) geht auf die Kleidung der Geistlichen zurück, die als Professoren an den ältesten Universitäten, die im Umfeld von Dom- oder Klosterschulen entstanden waren, lehrten.
Die Tradition des Talartragens wurde – wenn auch reduziert auf besondere Anlässe – an den deutschen Universitäten bis ins 20. Jahrhundert hinein beibehalten. Auch an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz waren Talare seit der Eröffnung 1946 üblich.
Seit 1950 bemühte sich die Universität verstärkt um ein einheitliches Auftreten des Lehrkörpers und setzte eine Kommission ein, die Vorschläge für die Anschaffung von Roben für die Rektoren, die Pedelle und die Professoren ausarbeiten sollte. Erste Versuche, sich dabei an den Talaren der alten Mainzer Universität zu orientieren, scheiterten an fehlendem Quellenmaterial. Die Kommission holte verschiedene Angebote ein und ließ sich Kataloge und Stoffproben zukommen.
Schließlich wurde die Firma Assmann in Lüdenscheid mit der Lieferung der Talare beautragt. Die Professoren mussten ihren Talar auf eigene Kosten erwerben. Für einen Talar mit Barett zahlte man 1951 130 DM. Auch die Fakultätsfarben wurden durch die Kommission 1951 festgelegt: Die Talare der Philosophischen Fakultät erhielten dunkelblaue, die der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät feuerrote, die der Katholischen Fakultät violette, die der Evangelischen Fakultät lilafarbene, die der Medizinischen Fakultät lindgrüne und die Talare der Naturwissenschaftlichen Fakultät kornblaue (vorher gelbe) Applikationen.
Während die Talare der Professoren in der Grundfarbe schwarz gehalten waren, wurde für den Rektor ein besonderer Talar in roter Farbe mit goldenen Stickereien angeschafft. 1962 erhielt auch der Prorektor einen eigenen Talar in blaugrau, ebenfalls mit Goldstickereien.
Die Talare wurden bei feierlichen Anlässen getragen, etwa bei Antrittsvorlesungen, bei akademischen Trauerfeiern, bei Promotionsfeiern oder bei der jährlich im städtischen Theater stattfindenden feierlichen Rektoratsübergabe.
An der feierlichen Form der Rektoratsübergabe entzündete sich in Mainz der Protest der Studentenbewegung. Bereits 1967 verteilte der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) vor dem Theater Flugblätter und versuchte, mit den Teilnehmern der Feier zu diskutieren. Im Laufe des Jahres 1968 verschärfte sich der Konflikt zwischen Studenten und Universität. Der SDS forderte in mehreren Flugblättern, anstelle einer feierlichen Rektoratsübergabe eine Vollversammlung auf dem Campus mit Rechenschaftsbericht des Rektors und anschließender Diskussion abzuhalten. Der Druck auf die Universitätsleitung wurde schließlich so groß, dass Rektor Mezger die Rektoratsübergabe einen Tag vor dem geplanten Termin absagte, da der ungestörte Verlauf nicht gewährleistet werden konnte.
Der Senat setzte im Anschluss eine Kommission ein, die über die künftige Gestaltung der Rektoratsübergabe und das Talartragen entscheiden sollte. Die Kommission fällte im Mai 1969 das salomonische Urteil, das Talartragen für die Dauer von zwei Jahren zu suspendieren. Die Talarfrage wurde danach im Senat nie mehr thematisiert. Damit wurde das Talartragen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz de facto abgeschafft, auch wenn es durchaus in Einzelfällen hin und wieder vorkam, etwa bei einer Papstaudienz des Präsidenten.
An anderen Universitäten ist das Talartragen auch heute noch üblich, beispielsweise an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Einige Universitäten aus den östlichen Bundesländern haben nach 1989 die Talare wieder eingeführt. Im Gegensatz zu den 1960er-Jahren in der alten Bundesrepublik stehen die Talare hier als Symbol für die Erneuerung der Universität und die wiedergewonnene akademische Freiheit, da die Talare zu DDR-Zeiten per Gesetz abgeschafft worden waren.
Dr. Christian George, Universitätsarchiv Mainz
Weiterführende Links
Literatur (Auswahl)
- Detlev Franz, Jürgen Siggemann: Als der "Muff von tausend Jahren" verflog… Von der Robe zum Straßenanzug. Universitäre Zeremonien im Wandel, in: Mainz. Vierteljahreshefte für Kultur, Politik, Wirtschaft Geschichte 18 (1998), H. 2, S. 122-127.
- Christiane Dreher: Zur Geschichte der Amtstrachten am Beispiel der Johannes Gutenberg-Universität Mainz nach 1946, in: Volkskunde in Rheinland-Pfalz 11 (1996), H. 1, S. 2-9.