Antike Münzen sind kleine Metallstücke, die mit verschiedenen Bildern und Wörtern verziert werden konnten. Für den Laien ist nicht immer leicht nachvollziehbar, welche Menge an historischen Informationen – für die Rekonstruktion der politischen, ökonomischen, sozialen, aber auch kulturellen und Mentalitätsgeschichte – sich in diesen kleinen Objekten versteckt. Als Beispiel soll ein römischer Denar, der sich seit dem Jahr 1988 im Besitz der Münzsammlung der Alten Geschichte der Johannes Gutenberg-Universität Mainz befindet, im Folgenden näher vorgestellt werden.
Es handelt sich um ein 3,86 Gramm leichtes Silberstück mit einem Durchmesser von 17 Millimetern. Interessant ist die Münze insbesondere aufgrund ihrer Rückseitenmotivik, nämlich der wahrscheinlich einzigen Abbildung eines Wahlvorgangs auf Münzen. Auf der Vorderseite zeigt die Münze die nach links gerichtete Büste der Roma mit Triarier-Helm, Speer und Schild. Über dem Roma-Kopf befindet sich eine Mondsichel, ein Stern – ein sogenanntes "Nebenzeichen" – ist im linken Feld positioniert und die aufwärts gerichtete Legende ROMA rechts vervollständigt den Avers der Münze. Wendet man die Münze, deren Stempelstellung etwa 90 Grad beträgt, fallen als zentraler Blickfang gleich drei Figuren ins Auge. Die Figur rechts außen wirft einen markierten "Zettel" in eine Kiste (cista). Auf der länglichen geriffelten Basis sitzt auf der linken Seite eine nach rechts gewandte Gestalt, die sich gerade nach unten zu einer dritten, von der Basis halb verdeckten Figur beugt und dieser entweder einen weiteren "Zettel" reicht oder aber erhält. Im Hintergrund sind zwei Linien zu erkennen und ganz oben eine dritte Linie, auf der der Buchstabe P positioniert ist, während unter ihr die Legende P NERVA liegt.
Die Deutung der Vorderseite ist vergleichsweise einfach: Die Gottheit Roma mit attischem oder phrygischem Helm als Personifikation des römischen Staates wurde seit der Einführung des Denars (sehr wahrscheinlich im Jahr 211 v. Chr.) auf der Vorderseite der römischen Münzen regelmäßig abgebildet und verblieb dort als fester Bestandteil der Münzprägung bis 138 v. Chr. Helm, Speer und Schild können auf das kriegerische Selbstverständnis Roms hindeuten. Die Mondsichel über dem Roma-Kopf stellt eine Verbindung zur Göttin Diana her, zu der die Römer eine enge Beziehung hatten und deren Heiligtum auf dem Aventin zu den wichtigsten religiösen Orten der Stadt zählte.
Weitaus seltener und damit auch interessanter ist die Rückseite der Münze, auch Revers genannt, die eine Wahlszene darstellt. Die Figur rechts außen ist ein Wähler. Die Gruppe der beiden anderen Männer wirft einige Fragen vor allem über den Ablauf des Wahlvorgangs auf. Wahrscheinlich betritt gerade ein weiterer Wähler über eine Treppe die "Brücke" (pons), auf der üblicherweise die Volksversammlungen stattfanden, und erhält vom sitzenden Wahlhelfer (custos), der den zuvor üblichen Stimmensammler (rogator) ersetzt hatte, die Stimmtafel. Man geht davon aus, dass der Wähler unten seine Markierung auf dem Täfelchen hinterlässt, um dann wieder auf die pons zu steigen und dort das Täfelchen in die cista zu werfen. Die beiden hintergründigen parallelen Linien werden als verschiedene Wahlebenen interpretiert, während man auf der obersten Linie mit dem Buchstaben P einen weiteren Wahlzettel erkennen will, wobei P für die tribus "Papiria" oder "Pupinia" stehen soll.
Gewählt wurde im republikanischen Rom anfangs mündlich. Der rogator hatte die Wahlberechtigten nach dem Namen des gewünschten Kandidaten zu fragen oder nach dem positiven oder negativen Bescheid des zur Debatte stehenden Gesetzes. Die Ergebnisse wurden durch Punkte auf Täfelchen festgehalten. Auf diese Art und Weise war natürlich jede Stimmabgabe öffentlich und somit im römischen sozialen Kontext, der stark vom Institut der clientela geprägt war, durch Einschüchterung und Verfälschung manipulierbar. Im Jahr 139 v. Chr. führte der Volkstribun Aulus Gabinius gegen den Willen des Senats durch die lex Gabinia tabellaria die geheime Abstimmung auf kleinen mit Wachs bedeckten hölzernen Täfelchen bei Wahlen ein. Gewählt wurde nun mittels der Täfelchen, auf die zumeist durch Angabe der Initialen der Name des Kandidaten geschrieben wurde oder aber bei Annahme oder Ablehnung eines Gesetzesvorschlags durch die Buchstaben V (uti rogas) für "wie du beantragst" oder A (antiquo) für "ich lasse alles beim Alten". Die Stimmtäfelchen wurden sodann zu den Zensoren geschafft, geordnet und gezählt und nach abgeschlossener Wahl noch so lange aufbewahrt, wie die Wahl anfechtbar war. Dieses System wurde im Laufe der folgenden Jahre auch in legislativen oder juristischen Wahlen angewendet und durch weitere Gesetze oder leges tabellariae festgeschrieben.
Der Denar ist also in der Folge dieses Gesetzes zu betrachten – die Darstellung des Wahlvorgangs macht es sicher, dass die Münze vor dem Jahr 139 v. Chr. nicht geprägt werden konnte. Es gibt aber noch einen weiteren Punkt, den man für die Datierung dieser Münze festhalten kann. Im Laufe seines Volkstribunats im Jahr 119 v. Chr. setzte Marius laut Cicero ein Gesetz durch, die sogenannte lex Maria de suffragiis, das eine Verengung der Brücken vorschrieb und so die Einflussnahme bei den Abstimmungen weiter begrenzte. Waren die Täfelchen zuvor noch vor den Augen der custodes markiert worden, so war nun ein geheimeres Wahlverfahren möglich. Einen bestätigenden Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen unserer Münze und dieser Reform liefert der auf der Münze mitgeprägte Name P. Nerva.
Die Namen, die auf republikanischen Münzen zu finden sind, entsprechen denjenigen der jeweiligen triumviri monetales, also derjenigen Beamten, die für die Auswahl der Bilder und generell für die Organisation der Prägung in Rom zuständig waren. Diese waren junge Menschen aus der senatorischen Aristokratie, die dieses Amt generell nutzten, um die eigene Selbstdarstellung zu profilieren und auf diese Weise die eigene politische Karriere zu fördern. Durch die Münzen konnten die Münzmeister ihre eigene berufliche Laufbahn ins Rollen bringen oder ihren Kandidaten in Szene setzen.
Auch wenn im Zeitalter der römischen Republik, vor den Verwirrungen des 1. Jahrhunderts v. Chr., anders als beispielsweise in den hellenistisch-griechischen Königreichen keine noch lebenden Menschen auf den Münzen dargestellt wurden, haben die tresviri normalerweise Typen und Themen gewählt, die die jeweilige Familie und damit sich selbst rühmten. Erinnert wurde beispielsweise an die Ämter der Vorfahren, das Alter bzw. den oftmals mythisch verbrämten Ursprung der Familie, Baumaßnahmen, Gesetze, feldherrliche Leistungen, Vertragsabschlüsse oder Triumphe der Ahnen. Dies war auch das Produkt einer historischen Entwicklung. Die frühen römischen Prägungen orientierten sich noch an griechischen Vorbildern und römische Didrachmen bildeten nur wenige Münzbilder über einen langen Zeitraum unverändert ab. Auch nach der Entwicklung der Quadrigati um 235 v. Chr. mit dem Januskopf der Dioskuren und Jupiter in von Victoria gelenkter Quadriga blieb die Typenvielfalt lange unverändert begrenzt. Mit zunehmender Freiheit der Münzmeister, insbesondere ab dem Jahr 194 v. Chr., änderte sich die Rückseitenmotivik, während die Vorderseite normalerweise weiterhin Roma vorbehalten blieb.
In welcher Form Publius Licinius Nerva, der tresvir, der die hier beschriebene Münze prägen ließ, mit der Wahlreform im Zusammenhang stand, ist nicht völlig klar. Wir wissen jedoch, dass er im Jahre 104 v. Chr. Prätor wurde. Wenn man die übliche zeitliche Distanz zwischen dem Amt eines tresvir und eines Prätors rechnet, müsste er ca. 113-112 v. Chr. für die Prägungen zuständig gewesen sein, was auch mit dem Stil der Münze übereinstimmt. Seine Tätigkeit ist deshalb kurz vor Marius' Reform zu verorten und selbst in Verweis auf die lex Gabinia tabellaria doch eher in Zusammenhang mit dieser neueren Maßnahme zu interpretieren. Dies erlaubt uns, Nerva im politischen Umfeld des Marius, unter den sogenannten populares, zu verorten und damit ein weiteres Stückchen der politischen Geschichte der römischen Republik zu rekonstruieren – mit Informationen, die letztendlich doch nur von einem kleinen Stückchen Metall stammen.
Juniorprof. Dr. Filippo Carlà und Claudine Walther