Manchmal hat die Universität auch kuriose Sachen zu bieten – beispielsweise einen eigenen Richter. Heute erzählen wir euch, was es damit auf sich hat und warum man ihn vielleicht besser wieder einführen sollte.
Mit ein paar Kommilitoninnen und Kommilitonen am Rhein sitzen, die Abendluft genießen, morgen nicht in die Vorlesung gehen. Dazu ein Sixpack Bier, vielleicht auch eine Flasche Wein, oder auch zwei im Gepäck. Der Spätsommer kann so schön sein. Da kann es ja keine Schande sein, etwas länger zu feiern und nochmal auf einen Absacker in der Dorett-Bar zu landen bevor es nach Hause geht. Und schwupps ist der letzte Bus ins Mainzer Umland auch schon weg.
Aber nicht verzagen! Oft bieten die Mitfeiernden gerne einen Platz zum Übernachten in der heimeligen Neustadt-WG an. Heute ist das alles kein Problem mehr, aber wie war das früher?
Was bei einer Gruppe vergnügter Studenten noch ganz harmlos wirkte, wurde kompliziert, wenn die Studentin mit dem Studenten oder umgekehrt nach Hause ging. So 1949 bei einem Kommilitonen, der „gegen den Willen des Vermieters“ eine Frau bei sich übernachten ließ. Ob es sich hierbei auch um seine Freundin handelte, blieb ungeklärt.
Na klar, es waren andere Zeiten damals. Aber würdet ihr damit rechnen, wegen einer harmlosen Übernachtung gleich vom Studienbüro vorgeladen zu werden? Natürlich nicht! Doch als die Uni noch jung war, musste der „Unzucht“ zwischen unverheirateten Studierenden unbedingt Einhalt geboten werden. Da konnte eine solch harmlose Übernachtung mal genauso vor dem Universitätsrichter landen, wie das ungebührliche Benehmen in der Kneipe zwei Stunden zuvor. Ihr habt richtig gehört: Die Uni hatte einen eigenen Richter! Aber warum? Waren die damaligen Studis solche schlimmen Finger?
Wozu ein Unirichter?
Der Unirichter war so etwas wie die Rechtsabteilung der Universität. Er schrieb Gutachten für die Uni, entschied über den Entzug von Doktortiteln und schlichtete beim Streit zwischen den „akademischen Bürgern“. Aber er war auch der strenge Wächter über die Disziplinarordnung der Universität. Die Ursprünge hierfür liegen im Mittelalter, als Unis noch über eine eigenständige Gerichtsbarkeit verfügten. Oft waren es Juraprofessoren oder ehemalige Richter, die den Posten eher nebenbei erledigten (eine Liste der Unirichter findet ihr hier). Denn bei durchschnittlich 16 Verfahren im Jahr und einigen wenigen Gutachten lohnte es sich nicht, einen Juristen hauptberuflich für die Uni einzustellen. So konnte es einem Jurastudenten aber natürlich passieren, dass er von seinem zukünftigen Examensprüfer verurteilt wurde.
Was heute ein bisschen wie ein schlechter Scherz klingt, war damals der volle Ernst der Unileitung. Geahndet wurde das Abschreiben in Prüfungen, Schlägereien, Diebstahl und Aufmüpfigkeit gegen Professoren. Dabei war es egal, wo man gegen diese Ordnung verstieß. Auf dem Campus, in einer Mainzer Kneipe oder beim Besuch der Eltern. Der Unirichter hatte ein Wörtchen mitzureden und konnte die Studis auch im akademischen Bereich bestrafen. Hierbei reichten die Strafen von einer mündlichen Verwarnung bis hin zum Verbot, jemals wieder in Deutschland studieren zu dürfen. Eine weitere Strafmöglichkeit war es, die Studienleistung eines oder mehrerer Semester nicht anzuerkennen, um die Studis so zu disziplinieren.
Ein Modell für die Zukunft?
Natürlich ist es sinnvoll, dass jemand, der seine Kommiliton_innen beklaut, auch bestraft wird und dass es Konsequenzen hat, wenn man falsche Angaben über zuvor bestandene Klausuren macht. Doch gleich in §1 der Disziplinarordnung war noch ein besonderes Schmankerl versteckt: Bestraft wurde auch, wer gegen die „Ehre, Sitte und Ordnung des akademischen Lebens“ verstieß. Hierunter ließen sich etliche Regelverstöße zusammenfassen, die uns heute eher kurios erscheinen. So prüfte der Unirichter, ob es das Ansehen der Universität verletzte, wenn ein Student auf Auslandsexkursion oben ohne im Bus saß.
Auch Zwischenmenschliches konnte den gestrengen Juristen auf den Plan rufen. So wurde geprüft, ob der Unirichter auch fürs Disziplinieren knutschender Studenten in Uniwohnheimen zuständig sei (eher nicht) oder sich auch mit „unzüchtigen Anträgen an eine verheiratete Studentin“ befassen musste (auf jeden Fall!). Je nach Schwere des Vergehens kam man auch mal glimpflich weg. Aber die Bestrafung an der Universität fand nicht anstatt sondern zusätzlich zur Bestrafung der normalen Gerichte statt. So konnte man durchaus vom Amtsgericht Mainz wegen „Trunkenheit am Steuer“ zu einer Geldstrafe verurteilt werden und dann vom Unirichter noch einmal alle Studienleistungen eines gesamten Semesters aberkannt bekommen.
Doch in manchen Fällen beließ er es auch nur bei einem gutgemeinten Rat. Als eine Studentin den Unirichter fragte, ob er nicht intervenieren könne, weil ihr Vater sich immer in ihr Leben einmischte, erklärte sich der Jurist nicht für zuständig. Als Privatmann ließ er es sich aber nicht nehmen den Vater schriftlich darauf hinzuweisen, dass seine Tochter alt genug sei, um ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Die Top 3 der wirklich verhandelten Fälle bildeten auf jeden Fall nächtliche Ruhestörung, Trunkenheitsdelikte und alles rund ums liebe Geld. Alles in allem also Dinge, die unter Studis heute sicher immer noch vorkommen. Erst ordentlich einen bechern und johlend durchs Augustinergässchen ziehen – da hallt es so schön! – und dann das geliehene Geld fürs letzte Bier etwas später zurückbezahlen, als mit dem Kommilitonen vereinbart. Doch dafür sind heute dieselben Gerichte zuständig wie bei allen anderen Bürgern. Für die rechtliche Beratung des Präsidenten hat die Uni eine Rechtsabteilung, für wissenschaftliche Streitigkeiten einen Ombudsmann und gegen Plagiate hilft das Projekt „Akademische Integrität“.
(Buch)mord verjährt nicht
Es ist wohl nicht schlimm, dass der Unirichter im Zuge der 68er-Proteste abgeschafft wurde und 1971 der letzte Unirichter seinen Hammer an den Nagel hing. Nur eine Sache hätte man beibehalten können. 1959 wurde tatsächlich ein Student bestraft, weil er Seiten aus einem juristischen Kommentar gerissen hatte. Das Urteil lautete:
VERWEISUNG VON DER UNIVERSITÄT MAINZ FÜR IMMER
Wer heute noch in der Bereichsbibliothek Rechts- und Wirtschaftswissenschaften unterwegs ist, weiß, dass sich dieser Anklagepunkt keineswegs erledigt hat. Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, wenn man wenigstens an ein paar alten Sachen festhielte – was meint ihr…?
Seid ihr neugierig auf den Unirichter geworden? Dann schaut euch doch seine Akten bei uns im Universitätsarchiv an.
Wer noch tiefer in die akademische Gerichtsbarkeit an deutschen Universitäten eintauchen will, klickt hier.
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Frank Hüther arbeitete bis April 2023 im Universitätsarchiv.