Empörung. Entrüstung. Wut. Das alljährliche AStA-Sommerfest fällt ins Wasser. Und dabei hatten wir uns alle auf diesen alljährlichen Höhepunkt im Sommersemester gefreut, auf diese kleine gesellige Verschnaufpause bevor es in die Klausurenphase geht. Laut des allgemeinen Studierendenausschusses muss die diesjährige Sause leider ausfallen, weil die Kosten nicht zu stemmen seien, die Organisation zu aufwändig und überhaupt…
In den letzten Jahren hatte sich der AStA sehr viel Kritik anhören müssen, angesichts der ausufernden Kosten, des unterirdischen Defizits und der problemanfälligen Durchführung des Fests. „Früher hätt’s das nicht gegeben“, hört man aus den Reihen ehemaliger Studentinnen und Studenten der JGU.
Das wollten wir genauer wissen und haben uns Akten zum Mainzer Ball der Nationen, ein in den 1950 und 1960-er Jahren ähnlich beliebtes Fest des AStA, näher angeschaut. Tatsächlich sind wir hierbei auf Dokumente gestoßen, die uns enttäuschten Studis als nostalgische Lektüre dienen können, führen sie uns doch vor Augen, dass früher eben nicht immer alles besser war.
Ein über die Stadtgrenzen hinaus bekanntes Happening
Der 1955 zum ersten Mal an den Start gegangene alljährliche Ball der Nationen wurde auch 1967, also vor genau 50 Jahren vom AStA der Uni Mainz und unter dem „Protektorat Sr. Magnifizenz Prof. Dr. Hans Rohrbach und seiner Frau Gemahlin“ organisiert. Zweck der repräsentativen Veranstaltung sei es, „den Kontakt zwischen unseren ausländischen Freunden und den deutschen Kommilitonen sowie der Bevölkerung der Stadt Mainz und ihrer Universität“ herzustellen. Ort des höchst beliebten Spektakels waren die Räume des Kurfürstlichen Schlosses. Ähnlich wie das Sommerfest, das sich als Begegnungsort der Kulturen verstanden wissen möchte, dabei aber nicht auf die Hilfe des Direktors angewiesen ist, sondern das ganz alleine hinkriegt.
Karten für diese höchst beliebte Veranstaltung wurden für Studierende der JGU vergünstigt zu Verfügung gestellt und waren 1967 wie auch in den Jahren davor innerhalb weniger Stunden ausverkauft. Dass es dabei zu tumultartigen Zuständen kam, empörte etwa einen Leser der Mainzer Allgemeinen Zeitung, der sich in einem Leserbrief zu Wort gemeldet hat. „Und gerade in diesem Jahr hatte der AStA die angeblich katastrophalen Mißstände [sic!] beim Kartenverkauf beheben wollen“. Die Glücklichen, die für 7,- DM eine Karte ergattert hatten, konnten nach dem Erwerb „nur noch durch das Fenster über eine Leiter wieder in die Freiheit gelangen“.
Besser erging es da der Prominenz, die als Ehrengäste ihre Einladungen bequem mit der Post geliefert bekommen hatten. Noch besser ist es natürlich, wenn die Eintrittskarten gratis für jederfrau und jedermann sind und sich solche Szenen erst gar nicht abspielen, was man trotz aller Kritik dem AStA-Sommerfest zu Gute halten kann.
Als Ehrengäste wurden etwa der hier stationierten Lt. Colonel Howard E. Kessinger jr. C.O. [Anm: Commanding Officer] des 8th Aviation Battalion APO/09185 oder Vertreter der Lokalpresse begrüßt. Außerdem waren auch Persönlichkeiten aus dem politischen Leben gern gesehen, selbst wenn man aus Wiesbaden kam, wie das beim damaligen Wiesbadener Oberbürgermeister Georg Buch der Fall war.
Lasset die Spiele beginnen
Am Freitag den 13. Januar 1967 ab 19:30 Uhr war es dann soweit: „schöne Frauen“ „in eleganten Abendkleidern“ und „elegante Männer“ in „Gesellschaftsanzügen“ schoben sich durch die prachtvollen Säle des Schlosses. Sie nahmen an Tischen Platz, die, dem Motto des Balls entsprechend, Ländernamen trugen. Für die weniger elegant gekleideten Gäste bot sich ein ganz anderes Bild.
So bemängelte ein Ehepaar, dass es bereits um 19:45 Uhr kaum noch freie Sitzplätze gab. Daher gingen viele Eingeladene dazu über „um Tische oder Stühle, die sie in irgendwelchen Abstellräumen vorfanden, zu kämpfen und versuchten diese irgendwo abzustellen“. Diese Szenen seien einer Veranstaltung wie dem Ball der Nationen unwürdig und hätten eher Dorfkirmescharakter. Zum Start des Unterhaltungsprogramms hatte das Paar die Veranstaltungsräume bereits verlassen.
Die Showeinlagen waren, getreu dem Thema des Balls der Nationen, sehr vielfältig. Dem AStA war es gelungen, verschiedene Studierendengruppen für Vorführungen zu gewinnen. Die Vereinigung indonesischer Studenten in Deutschland e.V., die sich eigentlich auch aktiv einbringen wollte, musste kurzfristig absagen, da ihre erfahreneren Mitglieder durch Abschlussprüfungen zu sehr eingespannt und die jüngeren unter ihnen, noch nie Teil einer solchen „Kulturveranstaltung“ gewesen seien.
Die Welt zu Gast in Mainz oder so
Die norwegischen Kommilitoninnen und Kommilitonen gaben Lieder aus Norwegen zum Besten. Außerdem hatten sie sich bereiterklärt beim Empfang der Ehrengäste teilzunehmen und das in „ihren farbenfrohen Trachten“.
Die US-amerikanischen Studis des Middlebury-College [seit 1957 kommen regelmäßig Studis von diesem im Bundesstaat Vermont gelegenen College in die Landeshauptstadt um am Mainzer Ableger, der Graduate School of German in Germany, zu studieren] inszenierten „ein kleines Spiel mit Gesang und Tanz“, das sie Heimatträumerei tauften. Der Iranische Studentenverein bereicherte das Programm neben seiner Tanz- und Gesangseinlage auch mit dem Ausschank persischen Tees.
Doch nicht nur Studierende waren gebeten worden, der Abendgestaltung etwas Internationales einzuhauchen. Die an der Universitätsklinik tätigen koreanischen Krankenschwestern sangen Lieder aus ihrer Heimat und gaben zwei koreanische Volkstänze zum Besten. Außerdem waren sie mit der Aufgabe betraut worden, in ihren Trachten Tombola-Lose zu verkaufen, deren Erlös dem Verein „Aktion Sorgenkind“ [Heute „Aktion Mensch“] zugutekommen sollte. In einem Dankesschreiben an die Krankenschwestern heißt es: „Auch die farbprächtigen Trachten der Mitwirkenden boten für den Besucher ein ungewohntes, aber reizvolles Bild“.
Ob es mehrheitlich an den schönen Kostümen, dem stetig ansteigenden Alkoholkonsum oder an dem sehr reizvollen ersten Preis der Tombola - eine Reise nach Paris - lag, dass allein über die Tombola 1200,- DM der insgesamt 2000,- DM für einen gemeinnützigen Zweck zusammenkam, ist im Nachhinein nicht mehr genau festzustellen.
Mehr Schein als Sein
Glaubt man aber dem bereits erwähnten AZ-Leser, konnte der Ball sein Versprechen, ein Fest der Nationen zu sein, nicht halten:
„Ball der Nationen“- wo waren sie nur geblieben, die Nationen, die Afrikaner und Araber, die Südamerikaner, Pakistani und Inder? Wenn von diesen großen studentischen Gruppen auch nur jeweils fünf dagewesen wären, hätte ich diesen Brief nicht geschrieben. Allein Persien, Korea und die USA waren in größerer Zahl vertreten“.
Des Weiteren hatte er auch etwas an der musikalischen Untermalung des Abends auszusetzen:
„Tanzmusik von vier Kapellen. Großartig! Nur - man hält es nicht für möglich - präsentierte die Big Band Max Greger fast die gleiche Schau wie in den letzten zwei Jahren. Wenn dem nichts Neues mehr einfällt, so sollte man endlich ein anderes preiswerteres Orchester verpflichten. Damit muß nicht unbedingt ein Niveauverlust verbunden sein, aber vielleicht könnte man dadurch die Eintrittspreise wieder senken“.
In den Augen der Organisatoren hingegen gab es „außer Ihrem Orchester in der Bundesrepublik kein gleichwertiges Ensemble“ und daher baten sie Greger kurzerhand auch auf dem nächsten Ball 1968 aufzutreten. Die Zahl an alten und jungen Tanzwütigen, die eine heiße Sohle aufs kurfürstliche Parkett legten, scheint den Verantwortlichen Recht zu geben.
Ein Hauch 68er
In den Stadtnachrichten konnte man tags drauf lesen, dass die Tanzflächen ständig dicht besetzt gewesen und die Kapellen dem Wunsch der Gäste, „die tanzen, tanzen und nicht als tanzen“ wollten, zu Genüge nachgekommen seien. Die gewagtere Tanzschritte seien „infolge der dazwischen genossenen Mengen von Sekt und Wein“ allerdings erst nach Mitternacht ausgepackt worden. (Der Diskretion wegen wird dies nicht weiter ausgeführt und wir verweisen auf die Fantasie der Leserinnen und Leser).
Was die Outfits der Ballgäste angeht, so wurde eigentlich um Abendgarderobe gebeten. Weswegen sich die Lokalpresse echauffierte, dass sich auch Miniröcke unter die langen Abendkleider gemischt hatten. Ob in Minirock oder nicht, die Anwesenden tanzten bis in die frühen Morgenstunden und der feuchtfröhliche Abend sollte vielen in guter Erinnerung bleiben.
Die GEMA macht Stress- auch schon vor 50 Jahren
Auch die GEMA vergisst nicht. Einen Monat nach dem Ball bemängelte sie, dass die Organisatorinnen und Organisatoren die Veranstaltung nicht ordnungsgemäß angemeldet hätten. Die Uni hätte versäumt, den Ball bei der zuständigen Bezirksdirektion der GEMA „mit näheren Angaben wie Tag, Art, Ort der Veranstaltung, Höhe des Eintrittsgeldes usw.“ anzumelden. Netterweise bzw. „entgegenkommenderweise“ erklärte sich die GEMA aber bereit, im Falle des Balls der Nationen ein Auge zuzudrücken und ihre Ansprüche nicht in doppelter Höhe geltend zu machen.
Somit ist es dem Orga-Team des Balls im Gegensatz zu denen des AStA-Sommerfests gelungen, ein Fest ohne finanzielle Verluste auf die Beine zu stellen. Ganz so kulant wie die GEMA damals zeigt sich die aktuelle Universitätsleitung dem Team des Sommerfests gegenüber nicht, denn für durch Vandalismus entstandene Schäden während der Party, soll der AStA in Zukunft selbst aufkommen.
Aber immerhin werden unsere internationalen Kommilitoninnen und Kommilitonen nicht mehr auf eine vermeintlich „exotische Andersartigkeit“ reduziert, die zum Vergnügen der weißen Mehrheitsgesellschaft einmal im Jahr ihre Trachten anlegen dürfen. „Sowas soll‘s heute eben nicht mehr geben“.
Cheers!