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Universitätsbibliothek Mainz

14.05.2020

Das Europa der verschiedenen Maßnahmen

Erasmus: Das weltweit größte Förderprogramm von Auslandsaufenthalten steht wie kaum eine andere Initiative für die europäische Verständigung, doch dann kam das Virus und mit ihm die Schlagbäume.

Bu yüzden İspanya, Fransa, Norveç, Danimarka, Belçika, Avusturya, İsviçre, Hollanda ve Almanya'ya gelen ve giden tüm hava trafiğini durdurmaya karar verdik. Bu önlem yarın sabah 8'de yürürlüğe girecek ve başlangıçta 17 Nisan'a kadar geçerli olacak“

(Und daher haben wir uns dazu entschieden, den gesamten Flugverkehr aus und nach Spanien, Frankreich, Norwegen, Dänemark, Belgien, Österreich, Schweiz, Holland und Deutschland einzustellen. Diese Maßnahme tritt ab morgen früh 8 Uhr in Kraft und wird zunächst bis zum 17. April gültig sein).

Ich traue meinen Ohren nicht, drehe mich abrupt in Richtung Fernsehbildschirm um, aus dessen Lautsprecher das Unmögliche dringt. Die Nachricht, bis auf Weiteres in der Türkei festzusitzen, erreicht mich in der im Osten des Landes gelegenen Stadt Kars, die durch den Roman Schnee des türkischen Beststellerautoren Orhan Pamuk einem Millionenpublikum bekannt wurde. Eine Woche später lande ich über Umwege in Frankfurt, wohin auch der Protagonist Ka in Pamuks Roman als junger Mann gezogen ist. Anders als ich, hatte er sicherlich mehr Zeit gehabt, seine Koffer zu packen, schießt es mir durch den Kopf, als ich mit einem kleinen Stich in der Magengrube mein Gepäckstück um die Kurve kommen sehe. Aber ich bin da sicher nicht die Einzige: Wie erging es den unzähligen anderen, die sich wie ich beim Ausbruch der Pandemie im Ausland als Erasmus-Studierende, auf Forschungsreise oder im Praktikum befanden? Die Abteilung Internationales vermittelte mir Kontakte zu Studierenden der JGU, die Corona im Auslandssemester erwischt hat.

Rom, Italien: Vavunettha Ramesh

Erasmus-Studentin in der Hauptstadt eines vergangenen Weltreiches, das (auch) an Krankheiten zugrunde gegangen ist

Covid-19 stellt für Menschen überall auf der Welt eine Zäsur historischen Ausmaßes dar. Es herrscht Ratlosigkeit, Verzweiflung und Angst angesichts des nie Dagewesenen. Das gilt auch für die Bewohnerinnen und Bewohner Roms, Hauptstadt Italiens, des Landes, das so stark wie kaum ein anderes vom Virus heimgesucht wurde. Und trotzdem: Die jahrtausendalte Siedlung spendet Trost, hat sie doch im Laufe ihrer Geschichte unzähligen Naturkatastrophen, Bränden und eben auch Epidemien die Stirn geboten und sich immer wieder aufgerichtet. Rom, die ewige Stadt.

Hier lebt die Mainzer Geschichtsstudentin Vavunettha Ramesh seit September letzten Jahres. Gerade kommt sie von einer zehntägigen Rundreise durch den Norden Italiens zurück. Verona. Mailand. Venedig. Vavunettha hat die willkommene Verschnaufpause nach ihrem ersten Erasmussemester in Rom genossen. Als sie erschöpft, aber glücklich wieder in der Hauptstadt der italienischen Halbinsel ankommt, trudeln nach und nach Nachrichten über unter Quarantäne gestellte Ortschaften im Norden des Landes ein. „Meine Mitbewohnerinnen hatten zunächst Angst, dass ich das Virus mitgeschleppt habe. Aber dem war glücklicherweise nicht so“.

Roma locuta, causa finita (Rom hat gesprochen, der Fall ist entschieden)

Das war Ende Februar. Und dann geht alles plötzlich ganz schnell: Anfang März werden die Universitäten des Landes vorerst für zwei Wochen geschlossen. Am 9. März verkündet der italienische Premier Giuseppe Conte eine landesweite Ausgangssperre. Sämtliche Drehtüren, Schiebetüren und Pendeltüren von Restaurants, Geschäften und Bars fallen daraufhin auf unbestimmte Zeit ins Schloss.

„Jeden Tag stiegen die Fälle drastisch an, es ist richtig schlimm geworden hier. Weil sich die Entwicklungen so überschlagen haben, hatte ich kaum Zeit, mich richtig mit der Situation in anderen Ländern zu beschäftigen.“ Erasmusstudierende in Italien mussten sich viel früher als alle anderen entscheiden, ob sie an ihrem Auslandssemester festhalten wollen oder den Heimweg antreten. So auch Vavunettha: „Ich bin geblieben. Das war einfach die beste Option für mich. Französische Freunde hatten sich auf ihrer Rückreise angesteckt, außerdem war schon früh klar, dass ich das Semester hier ohne Probleme online absolvieren kann. Ich war froh, dass die Entscheidung bei mir lag, aber ich hätte mir gewünscht, dass die JGU mir das früher mitgeteilt hätte.“

Die @lma Mater geht online

Die Umstellung von archaisch analoger zu digitaler Lehre lief in der ewigen Stadt reibungslos und Vavunettha berichtet mir, dass sie bereits ihre erste Online-Klausur geschrieben hat. Hier zeigt sich, althergebrachte Methoden und neue Online-Elemente müssen einander nicht ausschließen: Die Studierenden antworten unter strengem Blick des Dozenten, der sie per Webcam beaufsichtigt, ganz old-fashioned mit Stift und Papier. Nach Ablauf der Zeit schießt Vavunettha ein Foto von ihrer Klausur und schickt es per E-Mail zur Bewertung.

„Ich habe echt genug zu tun. Ich könnte mir vorstellen, dass ich den Stoff unter normalen Bedingungen nicht so einfach hätte bewältigen können. Gleichzeitig fällt es mir auch schwer, produktiv zu sein, weil ich die gesamte Zeit zu Hause bin. Es gibt Tage, an denen ich es gerade so schaffe, die Vorlesung zu hören. Mehr geht dann aber auch nicht. Das muss ich an anderen Tagen nachholen.“

Obwohl die Menschen in Italien unter den strengsten Ausgangssperren in Europa und weltweit leben, fühlt sich die Erasmusstudentin dort immer noch wohl. „Das Gefühl von Gemeinschaft, insbesondere am Anfang der Krise, fand ich sehr schön. Man hat abends gemeinsam vom Balkon aus gesungen, wodurch ich auch mal meine Nachbarn kennengelernt habe.“ Die Solidarität der Italienerinnen und Italiener untereinander zeigte sich auch beim Gang zum Supermarkt, erklärt mir Vavunettha: „Man muss zwar sehr lange fürs Einkaufen anstehen, aber die Läden sind nie ausverkauft. Klopapier zu bekommen, war nie ein Problem. Ich glaube, das liegt daran, dass die Menschen sich hier Gedanken um ganz andere Dinge machen mussten.“

„Wir sind allein und ihr, die anderen, steht uns nicht zur Seite“

Über die gesamte Dauer ihres Auslandsaufenthalts wurde der JGU-Studentin in Italien stets viel Wärme und Herzlichkeit entgegengebracht. Daran habe auch Corona nicht viel geändert. Doch mittlerweile klinge in Gesprächen auch immer wieder an, dass man sich im Stich gelassen fühle, man auf europäische Unterstützung warte. Landesweit hingegen reagierten die Menschen mit großer Solidarität untereinander:

„Das liegt vielleicht auch daran, dass man sich hier stärker als eine Nation identifiziert, woraus in der Ausnahmesituation dann dieses Gemeinschaftsgefühl erwächst. Leider kommt es mir aber so vor, als würden Fake News und Verschwörungstheorien, die über die sozialen Medien verbreitet werden, viel Glauben geschenkt. Es kursieren viele Gerüchte, warum Corona ausgerechnet Italien so stark getroffen hat und wie das Virus ‚entstanden‘ sei. Beurteilen will ich das aber nicht, denn ich bin ja nur Gast hier und habe das Privileg, jederzeit nach Deutschland zurückkehren zu können.“ Mehr Solidarität aus Europa für Italien hätte sich auch Vavunettha gewünscht, denn unter den Italienerinnen und Italienern mache sich nun großer Unmut breit: „Wir sind allein und ihr, die anderen, steht uns nicht zur Seite.“

Geeint in Vielfalt sieht anders aus.

 

Frankreich, Nantes: Oskar Grimm

Er hatte sich auf zwei Semester Jurastudium an der französischen Atlantikküste gefreut, doch dann kam Corona

Die Entscheidung, mit zwei Mainzer Kommilitoninnen im Auto zurück nach Deutschland zu fahren, wurde Oskar von höheren Mächten abgenommen. Genaugenommen von einem Fieberthermometer, das eine leicht erhöhte Temperatur anzeigte. „Es wäre unverantwortlich gewesen, mich unter diesen Umständen zu den beiden ins Auto zu setzen, daher bin ich in meiner WG in Nantes geblieben. Außerdem bin ich davon ausgegangen, dass das alles schon nicht so lange dauern wird“, berichtet der Jurastudent. Seitdem ist ein ganzer Monat ins Land gezogen und der Staatspräsident Emmanuel Macron hat am 13. April in einer direkten Ansprache an die Bevölkerung verkündet, dass die Ausgangsbeschränkungen (confinement) bis zum 11. Mai verlängert werde. Mittlerweile wurde sie auch in Frankreich von gelockerten Ausgangsbeschränkungen abgelöst.

Der Alltag unserer Nachbarinnen und Nachbarn auf der anderen Rheinseite hat sich drastischer verändert, als das hier in Deutschland der Fall ist. Zum Zeitpunkt meines Telefonats mit Oskar, durfte man täglich maximal eine Stunde vor die Tür und das auch nur im Umkreis von einem Kilometer. „Da wäre ich jetzt schon sehr gerne in Deutschland“, gesteht Oskar, der das Vorgehen der Bundesregierung anfangs noch für zu zögerlich hielt. Insbesondere weil er und seine Mitstudierenden an der Universität in Nantes schon sehr früh Berichte zu Ohren bekamen, wie überfordert die französischen Krankenhäuser in der Region Grand Est angesichts des Coronavirus waren.

Vive la Révolution? Oui, aber nur vom Balkon

Wer die Möglichkeit hat, mal eine Weile im Ausland zu studieren, dem eröffnet sich auch immer ein Blick in eine andere Kultur. In einer Krisensituation kann das für Erasmusstudierende mitunter auch bedeuten, dass erste Eindrücke bestätigt werden oder andere Besonderheiten ihres Gastlandes zum Vorschein treten: „Während des ersten Semesters hier ist mir aufgefallen, dass meine Mitstudierenden seltener hinterfragt haben, was ihnen von den Dozentinnen und Dozenten vorgetragen wurde. Und diese Obrigkeitshörigkeit, so sehr sie auch  angesichts der Gelbwesten und des Generalstreiks überrascht, zeigt sich jetzt auch in der Krise. Während sich in Deutschland die Literatur dazu häuft, gibt es beispielsweise kaum französische Juristinnen und Juristen, die sich kritisch mit dem confinement hinsichtlich der Grundrechtedebatte auseinandersetzen. Die Frage, „welche Kompetenzen darf eine Regierung in solchen Situationen haben?“, wird in Frankreich kaum diskutiert. Das hat sicherlich etwas damit zu tun, dass der Staat viel zentraler und hierarchischer aufgebaut ist als der bundesrepublikanische.“

Mit der Schließung der Universitäten ist für Oskar nicht nur die soziale Komponente des gemeinsamen Lernens weggefallen, sondern auch die fachliche und methodische Unterstützung seiner französischen Kommilitoninnen und Kommilitonen. „Dabei hat auch nicht geholfen, dass die Unileitung in Nantes sich erst sehr spät überhaupt zum weiteren Ablauf des Unterrichts geäußert hat. Zunächst wurde das in jedem Kurs anders gehandhabt und dem Lehrkörper individuell überlassen. Das war ganz schön anstrengend. Von Mainzer Jurastudierenden, die nach Dijon gegangen waren, habe ich gehört, dass die Uni dort sehr schnell eine einheitliche Regelung gefunden hat.“

Anders als Studierende, die zu Coronazeiten nicht gerade im Ausland studieren, muss Oskar sowohl mit seiner Gastuniversität kommunizieren als auch schauen, welche Anweisungen und Maßnahmen aus Mainz kommen. „Wir haben vom Erasmusbüro regelmäßig Mails bekommen, in denen beispielsweise erklärt wurde, dass wir bei Abbruch des Auslandssemesters trotzdem noch Anspruch auf das Erasmusstipendium hätten. Auch die jeweiligen Studienbüros standen ständig in Kontakt mit uns. Ich hätte mir aber ein Entgegenkommen in Sachen Praktikum gewünscht. Unsere Prüfungsordnung sieht ein Pflichtpraktikum in Frankreich vor. Das ist unter den aktuellen Gegebenheiten aber nicht realisierbar. Und trotzdem wird seitens der JGU an dieser Vorschrift festgehalten.“

Die EU schafft sich ab

Wann Oskar nach Deutschland zurückkehren kann, steht erstmal in den Sternen, denn die benötigte elterliche Umzugshilfe kommt nicht über die deutsch-französische Grenze. Was im Einzelfall ein Ärgernis ist, kann dazu führen, dass die EU an sich in Frage gestellt wird, findet Oskar: „Grenzschließungen sind ein Angriff auf Schengen und Schengen ist Europa. Das ist Symbolpolitik, die einen trügerischen Schein von Sicherheit vermittelt. Es gibt doch mittlerweile überall Coronafälle, da bringen Grenzschließungen auch nichts. Innerhalb der eigenen Landesgrenzen entscheiden die einzelnen Mitgliedsstaaten selbst, welche Maßnahmen getroffen werden. Deswegen halte ich mich als deutscher Staatsbürger an das confinement, während französische Erasmusstudierende in Mainz die Kontaktsperre befolgen müssen.“

Kurz tritt Stille ein, Oskar räuspert sich erneut: „Die EU muss endlich wirklich solidarisch sein, das Prinzip der Solidarität muss gerade in Krisenzeiten gelten. Das einzige, was ich gesehen habe, war Frau von der Leyen, die sich die Hände wäscht und dabei die Europahymne summt, während die Menschen in den Flüchtlingslagern nicht mal Wasser haben, um sich die Hände zu waschen.“

Aberdeen, Schottland: Maxym Sheykhetov

Fremdsprachenassistent gerät auf den britischen Sonderweg

Während viele Länder Europas schon früh erste Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, entschied sich das Vereinigte Königreich – wie so oft – für einen Sonderweg. Es schien fast so, als wiegten sich die Britinnen und Briten, allen voran Boris Johnson, auf ihrer Insel in Sicherheit. Auch Maxym machte sich anfangs keine Gedanken. Er hielt es für sicherer, in Schottland zu bleiben und hatte sowieso geplant, seinen Aufenthalt, um ein weiteres Semester zu verlängern. Europaweit hatten Schulen und Universitäten bereits geschlossen, da unterrichtete Maxym noch Deutsch in Grundschulklassen und assistierte seinem Mentor in der Vorbereitung für den Deutschunterricht in höheren Klassen. Alles ging seinen gewohnten Gang.

Babysitten für die Wirtschaft

In seiner WG hingegen, in der er mit Franzosen und Italienern lebte, wurde früh über den richtigen Umgang mit der Krise diskutiert. „Es haben sich viele beschwert, dass Johnson nicht gehandelt hat“, erzählt er mir. „Ich hatte aber kein Problem damit, zum Babysitter der Wirtschaft zu werden. Also, die Kinder zu unterrichten, damit die Eltern weiterhin arbeiten konnten. Ich fand das okay, denn somit hatte ich ja auch noch was zu tun. Ich kann gut nachvollziehen, dass man erstmal abwartet.“

Abwarten wollte die Betreuerin des GET-Programms, an dem Maxym teilnahm, aber nicht: Die Frage „Bleiben oder nach Deutschland zurückkehren?“, stellte sich auch in Schottland. Daher fuhr sie ins Generalkonsulat nach Edinburgh, um sich über die weitere Vorgehensweise zu informieren. „Ich habe mich auf jeden Fall vor Ort gut betreut gefühlt“, bekräftigt Maxym.

Drama, baby, drama!

Als aber klar wurde, dass er in der aktuellen Situation kaum mit einer Visumsverlängerung rechnen konnte und auch immer mehr Flüge nach Deutschland annulliert würden, reservierte der Lehramtsstudent schweren Herzens einen Sitz in einer der letzten Direktverbindungen. „Letztendlich musste ich dann den Umweg über Amsterdam nehmen, denn mein Flug wurde in letzter Minute noch verschoben, sodass ich umbuchen musste.“

Als Maxym Schottland verlässt, gab es dort offiziell so gut wie keine Coronafälle. „Mittlerweile berichten Freunde, dass das Land jetzt ein anderes ist und dass sich Aberdeen auch stark verändert hat“, berichtet Maxym. Und ich meine, in seiner Stimme einen traurigen Unterton auszumachen, als er von einer gecancelten Drama Competition berichtet, auf die er sich mit seinen Schülerinnen und Schülern vorbereitet hatte und die aufgrund des Virus abgesagt wurde. „Vielleicht können wir das zu einem späteren Zeitpunkt nachholen“.

Ob es Zufall ist, dass mir in dem Moment das Lied der britischen Rockgruppe Queen in den Sinn kommt? The show must go on!

Ljubljana, Slowenien: Laura Hesbacher

Von einer die ausflog, um mit Freunden zu studieren und am Ende vor dem heimischen Bildschirm landet

An diesem Morgen muss alles schnell gehen: Noch fix die letzten T-Shirts zusammengefaltet und im Koffer verstaut. Ach ja, die Zahnbürste muss auch noch mit. Laura schaut sich in ihrem ausgeräumten Zimmer um, das sie in der slowenischen Hauptstadt bezogen hatte. Es ist kurz vor 12. In drei Stunden wird ihr Flug zurück nach Deutschland gehen. Sie war heute Morgen mit der Nachricht aufgewacht, dass die slowenische Regierung alle Zug- und Flugverbindungen ins Ausland ab Mitternacht des 11. März einstellen werde. Laura hatte da bereits eine Woche online Unterricht an der hiesigen Universität hinter sich.

„Viele meiner Freunde haben Slowenien verlassen, als wir auf die digitale Lehre umgesattelt haben. Als dann auch noch die Nachricht kam, dass man erstmal nicht mehr aus dem Land ausreisen konnte, habe ich mich relativ schnell dazu entschieden, auch den Heimweg anzutreten“. Sicherheitsbedenken hätten damit aber wenig zu tun gehabt, berichtet mir die Studentin: „Slowenien hat nach dem ersten Coronafall viel schneller reagiert als Deutschland. Im örtlichen Supermarkt beispielsweise wurde Personal eingestellt, das ausschließlich mit dem Desinfizieren von Einkaufskörben und -wagen beauftragt war. Eine Mundschutz- und Handschuhpflicht galt auch beim Einkaufen. Gehamstert haben die Sloweninnen und Sloweninnen übrigens eher Artikel, die man in der Apotheke bekommt. Also, ich habe mich sicher gefühlt, aber da mein Freundeskreis schon nicht mehr in Ljubljana war, wollte ich auch nach Hause.“

Erasmus im Home-Office

Und genau dort erreiche ich Laura auch, die in Kulturanthropologie und Publizistik eingeschrieben ist: Offiziell ist sie noch Erasmusstudentin, allerdings hat ihr Studienalltag wenig mit dem gemein, was einen Erasmusaufenthalt in pandemiefreien Zeiten so charakteristisch macht: „Ich folge meinen Vorlesungen online über Zoom. Das funktioniert auch einwandfrei. Aber das, was ich an den Veranstaltungen am meisten mochte, fehlt jetzt einfach: Ich sehe meine Kommilitoninnen und Kommilitonen nicht mehr. In einigen Fällen habe ich Kurse auch gewählt, weil ich mich gerne mit den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern umgeben habe.“

Corona stellt den Studienalltag weltweit auf den Kopf und zwingt Studierende dazu, liebgewonnene Gewohnheiten und Riten auf unbestimmte Zeit erstmal Adieu zu sagen. So geht es auch Laura, die von sich behauptet, eher der Gruppe „Bib-Lernerinnen und Bib-Lerner“ anzugehören. In den eigenen vier Wänden funktioniert das Fleißigsein noch nicht so geschmiert. Da hilft auch nicht, dass Professorinnen und Professoren offenbar davon ausgehen, dass ihre Schützlinge jetzt mehr Zeit zum Studieren übrighaben müssten, weil Semesterpartys und Hochschulgruppen sie logischerweise nicht mehr ablenken können. „Wir bekommen echt viele Aufträge, mehr als das bei Präsenzunterricht der Fall gewesen wäre“, ächzt Laura.

Überstürzte Abreisen, virtueller Unterricht, geschlossene Bibliotheken – das stand so aber nicht im Erasmus Learning Agreement!

Spitzbergen, Norwegen: Florina Schalamon

1x Nordpol und zurück? Krisenmanagement mit kühlem Kopf

„Solidarisch wollten wir uns zeigen mit der örtlichen Bevölkerung. Es gibt hier genau ein Krankenhaus für 2000 Menschen, der Krankentransport zum Festland wäre nicht gewährleistet gewesen und wir sind hier nur zu Gast. Ja, und deswegen habe auch ich mich dazu entschieden, einen Rückflug zu buchen.“ Covid-19 stellte den Studienalltag der Erasmusstudentin Florina an einem der nördlichsten Orte der Erde auf den Kopf: im norwegischen Spitzbergen. Am 12. März hatte die Premierministerin des Landes verkündet, dass sämtliche Universitäten ab 18 Uhr des gleichen Tages geschlossen würden. Daraufhin erhielt die Mainzer Meteorologiestudentin E-Mails ihrer Austauschuniversität, die ihre Studierenden bat, die 1000km vom Nordpol entfernt liegende Insel, wenn möglich, zu verlassen. Zu groß sei die Gefahr, das örtliche Gesundheitssystem zu überlasten. Ihre norwegischen Kommilitoninnen und Kommilitonen waren die ersten, die diesem Appell folgten. Personen, die bis zum 20. März ihre Rückflüge gebucht hatten, erhielten hierfür sogar einen Zuschuss seitens der Uni.

Gekommen, um zu gehen?

Florina verließ die Inselgruppe zwar schweren Herzens, gleichzeitig hätte sie sich gewünscht, dass die norwegischen Universitäten schon früher in den Notbetrieb gegangen wären, gesteht sie mir: „Damit einem die zermürbende Entscheidung, ob man geht oder bleibt, abgenommen worden wäre. Die Situation wäre auch einfacher zu handhaben gewesen, wenn man schon früher Informationen über die Anrechnungen der Erasmusleistungen trotz Onlineunterricht etc. bekommen hätte.“

Trotz der idyllischen Abgeschiedenheit Spitzbergens verfolgten Florina und ihre internationalen Mitstudierenden schon früh die Coronaentwicklungen auch in anderen Ländern. „Schweden hat mich sehr beunruhigt. Und Deutschland… ja, warum wurden die Verbote da nicht schneller durchgesetzt? Ist euch denn nicht klar, wie ernst die Lage ist? Obwohl es in Norwegen weniger bestätigte Fälle gab, wurde hier direkt alles dichtgemacht. Desinfektionsmittelspender wurden schon früh im öffentlichen Raum angebracht.“

Spitzenreiter Spitzbergen

Die nordeuropäischen Länder werden in vielen Bereichen, etwa Gleichstellung der Geschlechter, Bildungsgerechtigkeit und Umweltschutz, als Vorbilder gehandelt. Im Falle Norwegens hat sich das positive Bild für Florina verstärkt, was insbesondere mit dem Krisenmanagement des Landes zusammenhängt, im Großen wie im Kleinen: Die Spitzbergerinnen und Spitzberger hatten keine Angst vor Klopapierversorgungsengpässen. „Es wurde nicht diskutiert, sondern gemacht, das fand ich gut, vor allem in der Krisenzeit. Man hatte das Gefühl, dass jemand die Verantwortung übernimmt, dass etwas getan wird. Die Bevölkerung hat das durchgehend auch ernst genommen und die Maßnahmen wurden befolgt. Zum Beispiel habe ich wenig von Verschwörungstheorien gehört oder davon, dass Leute nicht an das Virus glauben.“

Dieser positive Eindruck setzt sich auch im Unibetrieb fort, der schnell auf Videokonferenzen umgestellt wurde. Bereits am Anfang der Krise wies die Universität regelmäßig auch auf Angebote zum Thema mentaler Gesundheit hin und beschränkte sich damit nicht nur auf ihre rein administrative Kompetenz. Technisch gab es anfangs zwar noch ein paar Probleme. So war zu Beginn zeitweise der Server ausgelastet. Mittlerweile laufen die Onlinetreffen für die Gruppenarbeiten aber reibungslos. Da der direkte Kontakt wegfällt, sei eine präzisere verbale Kommunikation notwendig, berichtet mir Florina.

Leider kann sie das nicht darüber hinwegtrösten, dass sie ihre Feldarbeit nicht durchführen können wird. „Die Kurse in Spitzbergen sind beliebt und bekannt, weil man einen großen praktischen Anteil hat. Das fällt jetzt komplett weg und wir bekommen stattdessen Aufgaben zugeschickt.“

Statt Solidarität, deutscher Spargel

Zeit zum Grübeln bleibt Florina trotzdem: „Ich würde mir in Europa mehr Solidarität wünschen. Man hat früh mitbekommen, was in Italien passiert, das hätte schneller zu Aktionen führen müssen, um aushelfen zu können. Wir hätten jetzt die Kapazitäten, Flüchtlinge und Covid-19 Kranke aus Italien aufzunehmen. Stattdessen lässt man Erntehelferinnen und Erntehelfer einfliegen, damit die Leute in Deutschland Spargel essen können. Es wird kein Gewinnerland geben, nur Verlierer. Das einzige, was wir gewinnen können, ist, dass man gemeinsam durch die Krise geht.“

Fünf Stimmen von Mainzer Erasmus-Studierenden, fünf Sichten auf Europa und darauf, wie unterschiedlich mit der Krise umgegangen wird. Diagnose: Solidaritätsmangelitis.

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