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Universitätsbibliothek Mainz

12.10.2021

Das Gespenst der Gerechtigkeit

Die Geschichte eines deutschen Bürokraten, der nach Kriegsende 1945 von einem französischen General aus der Schweiz herbeibeordert wird, um nach getaner Arbeit durch ein Netz von Seilschaften demontiert zu werden. Klingt nach John le Carré? Stammt aber aus der nicht weniger intriganten Welt der neugegründeten Universität Mainz.

Akt I – Auferstanden aus Ruinen

Zur Gründung einer Universität braucht es eine Person, die – salopp gesagt – den ganzen Laden schmeißt. Wenige Monate nach Kriegsende einen möglichst unbelasteten Kandidaten zu finden, der bereit ist, eine Universität in den Trümmern einer zerbombten Stadt aufzubauen? Keine leichte Aufgabe! Das dürfte sich auch der französische General Raymond Schmittlein, seines Zeichens in der französischen Militärregierung zuständig für den Aufbau eines Bildungsapparats, an seinem Schreibtisch in Baden-Baden gedacht haben. Nichtsdestotrotz machte er unter allen möglichen Optionen die passende Person für diesen Auftrag ausfindig.

Josef Schmid
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Quelle UA Mainz

Der erste Rektor der Universität Josef Schmid.

Der 15. November 1945 muss ein großer Tag für Josef Schmid gewesen sein. Der General hatte ihn mit der Aufgabe der Neugründung einer Universität betraut. Und Schmid machte sich sofort mit voller Kraft ans Werk. Nicht zuletzt aufgrund seiner unermüdlichen Ausdauer konnte schon am 23. Mai 1946 mit großem Zeremoniell der Lehrbetrieb aufgenommen werden. Diese Leistung machte Eindruck und sorgte für einen starken Rückhalt in der Professorenschaft und bei anderen Unterstützern und Unterstützerinnen. Der General schien zufrieden.

Schmids Glück scheint also mit der Universität zu gedeihen. Gäbe es da nicht eine Person, die sich nicht für ihn erwärmen kann, den Verwaltungsdirektor Fritz Eichholz (heute würde man Kanzler sagen). Um ihn zu verstehen, müssen wir allerdings ins Berlin des Jahres 1932 zurückreisen. Die Stadt liegt noch nicht in Trümmern, die Nationalsozialisten sind noch nicht an der Macht, und an diesem Vorabend der Diktatur heiratet ein junger Fritz Eichholz eine gewisse Frau Schmittlein, die Schwester des späteren Generals. In den nächsten Jahren trennen sich die Wege von Eichholz und Schmittlein ideologisch. Der eine wird bereits im Jahr 1933 Anwärter der NSDAP, der andere kämpfte schon 1940 gegen die Boche und schloss sich nach der Niederlage den freien französischen Streitkräften in Ägypten an. Erst nach dem Krieg kreuzen sich ihre Pfade wieder. Der politisch belastete Eichholz sitzt in der Klemme, niemand im Universitätsbetrieb will ihm eine Stelle verschaffen. Aber zum Glück gibt es ja die Familie. Und da gibt es noch einen anderen, der bei dem General Schutz sucht und findet. Der AStA-Vorsitzende Peter Manns war aus der Kriegsgefangenschaft über mehrere Stationen bis nach Mainz gelangt. Dort baut er sich in den Trümmern ein neues Leben auf, als Protegé und Adoptivsohn des Generals.

Akt II – Das Drama beginnt

Nicht mit einem Paukenschlag, sondern mit dem manchmal doch kräftigen Klatschen einer Hand, die mit hoher Geschwindigkeit auf eine Wange trifft, beginnen sich die Machtverhältnisse zu verschieben. Am 18. November 1946 stehen sich Schmid und der Chef du Service de reconstruction, Guy Fournier, wutentbrannt gegenüber. Der für den Wiederaufbau zuständige Beamte will 400 Arbeiter vom Bau der Universität abziehen. Schmid wiederum will dies unter keinen Umständen zulassen und die beiden Würdenträger geraten in ein Handgemenge.  Eine für Schmid zweifelhafte Entwicklung: Der frischgebackene Rektor wurde für einige Wochen hinter schwedische oder eher französische Gardinen gesteckt. Sein Nimbus hatte trotz seines Rückhalts beim Universitätspersonal unter dem Vorfall gelitten. Oder wie ein zeitgenössischer Kommentator es formulierte: „Schmid war nicht der Mann aller Franzosen“. Denn Claude Hettier de Boislambert, der Landesgouverneur und Landeskommissar von Rheinland-Pfalz, wagte am 1. Oktober 1947 einen Vorstoß gegen Schmid, nachdem dieser angeblich versucht hatte, Professoren zu berufen, die von den Franzosen nicht genehmigt worden waren. Die Entlassung konnte durch den rheinland-pfälzischen Innen- und Kultusminister und dem Senat der Universität abgewendet werden, doch Schmids Rektorat stand auf unbestreitbar wackeligen Beinen.

Schmid war dies wohl bewusst. Auch intern stand er durch immer wieder aufflammende Konflikte mit Eichholz, dem höchsten Verwaltungsbeamten der Universität, unter Druck. Am 4. Oktober 1947 ging er schließlich zum Gegenangriff über. In einer Senatssitzung bezichtigt er den Verwaltungsdirektor vor versammeltem Kollegium der Unterschlagung von Lebensmitteln, der Aneignung von Materialen, die eigentlich für den Universitätsbau bestimmt waren und der Mitgliedschaft in der NSDAP. Doch die Initiative kam zu spät. Nur eine Woche später sah sich Schmid genötigt, eine Versammlung zur Neuwahl des Rektors einzuberufen, auf der der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät, August Reatz, zum neuen Rektor bestimmt wurde. Woher der schnelle Sinneswandel? Eichholz und Schmittlein waren an dieser Stelle am Werk gewesen und hatten Schmid zu Fall gebracht. Der ehemalige Schützling war als Rektor demontiert worden, doch seinen Professorenposten hatte er noch.

AKT III – Vorhang auf für das Grand Finale

Es muss stockfinster gewesen sein, als einige Gestalten über den Campus der Universität und durch die nächtliche Stadt schlichen, wie eine Gruppe Kommandos darauf bedacht, nicht entdeckt zu werden.

Person in der Dunkelheit
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Im Gepäck hatten sie jedoch keine Pistolen und Granaten, sondern Kleister und Plakate. Und auf denen stand: „Wir wollen keine Nazityrannei“. Damit war Fritz Eichholz gemeint, und neben diesem Satz fand sich auf den Plakaten auch eine Liste von Anschuldigen gegen ihn, die große Ähnlichkeit mit den von Schmid erhobenen Vorwürfen hatte. Das dies alles nun nur wenige Wochen nach der Absetzung des Rektors passierte, machte keinen guten Eindruck. Doch Eichholz ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Erst ein Jahr später holte er plötzlich eine schriftliche Erklärung eines der Täter hervor. Angeblich habe Schmid diesen durch die Weitergabe vertraulicher Informationen zur Tat angestiftet. Gleichzeitig begann der General eine Kanonade von Anschuldigungen, die bis zur Dokumentfälschung reichten, gegen Schmid zu richten. In diesem Kreuzfeuer leitete das Kultusministerium ohne Zögern ein Dienststrafverfahren gegen den Ex-Rektor rein. Damit war er tief gefallen, nicht nur musste er seine Lehrtätigkeiten einstellen, er wurde auch aus dem Vorlesungsverzeichnis gestrichen. Heute klingt das wenig schwerwiegend, damals war es gleichbedeutend mit dem Ausradieren seines universitären Andenkens.

Ein Prozess lief mit diesen Beteiligten nicht einfach so ab. Eichholz und der AStA-Vorsitzende Manns trafen Vorbereitungen. Sie machten zusammen Ausflüge und informierten sich an den alten Wirkungsstätten ihres Kontrahenten über ihn. Dies führt sie bis zu Schmids Arbeitgebern aus Vorkriegszeiten, in der Hoffnung belastendes Material ans Licht zu bringen. Es müssen kuriose Szenen gewesen sein. Tatsächlich drängten die beiden einen Verleger dazu, Schmid als „gefährlichen Kriminellen und geltungssüchtigen Psychopath“ zu bezeichnen. Vor Gericht hatte dies wenig Bestand, der Mann erzählte, freimütig zu dieser Aussage genötigt worden zu sein. Diese Unternehmungen könnten auch auf eine zunehmende Nervosität von Eichholz und Manns hindeuten. Denn der Ex-Rektor schlug sich zu diesem Zeitpunkt weit besser vor Gericht. So hatten sich die Anschuldigungen zur angeblichen Aufwieglung von Studierenden in Luft aufgelöst. Das von Eichholz angeführte Bekennerschreiben war, so im späteren Urteil zu lesen, wohl unter dem Versprechen der Straffreiheit für die Bekennenden entstanden. Ebenso konnte die von Schmittlein unterstellte Dokumentfälschung nie nachgewiesen werden. Schmid hatte zwar keine gänzlich weißen Weste, jedoch auch keine nachweißlich schmutzige.



Um dies zu ändern machten Eichholz und Manns einen letzten Versuch, sich Schmid doch noch auf gerichtlichem Weg vom Hals zu schaffen. Man kann sich zurecht fragen, wie der Richter reagierte, als er die jeweiligen Geschichten zu hören bekamen. Denn es passiert sicher nicht oft, dass ein Verwaltungsdirektor einer Universität behauptet, der ehemalige Rektor habe versucht, ihn durch Sabotage am Auto umzubringen zu lassen. Ebenso ausgeschlossen scheint es, dass der AStA-Vorsitzende derselben Universität behauptet, er glaube zu wissen, dass derselbe ehemalige Rektor seine eigene Familie mit dem Messer gejagt habe und zuvor versucht habe, seine ehemalige Geliebte zu vergiften. Dass diese Anschuldigungen vom Gericht als lächerlich abgetan wurden, wundert sicher wenig. So stand dem Freispruch nichts mehr im Wege.

Das Ende

Nach fünf ermüdenden Jahren konnte sich Schmid als rehabilitiert betrachten. Ohne weitere Zwischenfälle nahm er seine Tätigkeit als Professor wieder auf. Doch was ging im Menschen Schmid vor sich? Können wir hier ein glänzendes Beispiel für Pflichterfüllung finden, dass trotz aller erfahrener Ungerechtigkeit in seiner Arbeit für Wissenschaft und Studentenschaft aufgeht? Ein Brief Schmids aus dem Jahr 1975 gibt Hinweise. Er schrieb: „[…] in meinem patriarchalischen Alter von 77 Jahren läuft man dem Phantom der Gerechtigkeit nicht mehr nach“. Bis zum Schluss war er also davon gezeichnet, auch wenn er verstand, dass langes Hadern keinen Sinn mehr hatte. Damit endet die Geschichte weit weniger glanzvoll, als in einem Spionageroman. Im selben Jahr beging die JGU, die Universität der er so viel Zeit gewidmet hatte, ihre Fünfhundertjahrfeier. Er selbst nahm nur an einer einzigen Veranstaltung teil, einem Konzert.

Fabian Dietrich
Fabian Dietrich

Fabian Dietrich ist Bachelorstudent der Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und ist neben dem Studium für das Historische Museum Frankfurt tätig.