Sie ist sicher eins der meistfotografierten Motive auf dem Mainzer Campus: die Gutenbergbüste auf dem Forum. Seit 71 Jahren steht sie dort und erinnert täglich tausende vorbeiströmende Universitätsangehörige und Gäste an den Namensgeber der Universität. Doch ihre feste Stellung auf dem Campus war zu Anfang alles andere als in Stein gemeißelt.
Unzählige Doktorandinnen und Doktoranden haben in ihrem Schatten die abgeschlossene Promotion gefeiert, auf Infomaterialien der Universität ist sie omnipräsent. Dennoch ist über ihre Geschichte bislang wenig bekannt, sie gilt sogar als „Mysterium“. Aber ein Blick in die Akten des Stadt- und des Universitätsarchivs gibt Aufschluss:
Ursprünglich stand die Büste im Brauhaus zum Gutenberg, einer Mainzer Traditionsgaststätte in der Franziskanerstraße. An der Stelle des Gasthauses befand sich im Mittelalter der Hof Zum Jungen, in dem der Legende nach Gutenberg seine erste Druckwerkstatt eingerichtet haben soll. 1929 hatte daher die Mainzer Aktienbrauerei den Bildhauer Jean Sauer zu Werbezwecken mit der Herstellung einer Büste Gutenbergs beauftragt. Da niemand weiß, wie Gutenberg genau ausgesehen hat – es gib kein zeitgenössisches Bild von ihm – orientierte sich der Bildhauer der Einfachheit halber an dem 1837 von Berthel Thorwaldsen geschaffenen Denkmal auf dem Gutenbergplatz.
Über zehn Jahre lang wachte Gutenberg im Hof des Brauhauses über das bunte Treiben und fröhliche Zechen bis das Brauhaus 1942 im Bombenkrieg zerstört wurde. Die Büste selbst überstand wie durch ein Wunder den Angriff unbeschadet, geriet aber in Vergessenheit.
Als sich Anfang 1946 abzeichnete, dass die neue Mainzer Universität nach dem berühmtesten Sohn der Stadt benannt werden würde, erinnerte sich die Mainzer Aktienbrauerei an die Büste und bot sie dem designierten Leiter der Universitätsverwaltung, Fritz Eichholz, als Geschenk an. Vermutlich kam das Angebot zu einem ungünstigen Zeitpunkt. In den hektischen Wochen unmittelbar vor der Eröffnung der JGU waren andere Dinge wichtiger. Erst Anfang 1947 befürworteten die Kunsthistoriker die Aufstellung der Büste. Eine offizielle Antwort von der Universität erhielt die Mainzer Aktienbrauerei jedoch nicht und so verlief die Sache zunächst im Sande.
1950 wiesen schließlich Journalisten erneut auf die Büste hin, die immer noch in den Trümmern des zerstörten Brauhauses stand. Und nun kam Bewegung in die Sache. Die Mainzer Aktienbrauerei erneuerte ihr Angebot, das die Universität jetzt zügig annahm. Am 10. Mai 1950 wurde die Büste auf dem Forum aufgestellt und die Universität bedankte sich überschwänglich für die Bereicherung, „die Sinnbild und Zierde zugleich, jedem Besucher deutlich werden lässt, dass sie dem Andenken des großen Sohnes dieser Stadt ihre Arbeit und Forschungsaufgaben widmet“.
Skandal: Trotz Rechtschreibeschwäche an der Uni
Doch sofort wurde aus Professorenkreisen Kritik an der „künstlerischen Geringwertigkeit“ des „Wirtshausschmuckstücks“ laut. Besonders die lateinische Inschrift wurde bemängelt, nicht nur wegen inhaltlicher Fehler (die historische Forschung hatte die Legende von der Druckwerkstatt im Hof Zum Jungen inzwischen als falsch entlarvt), auch die Rechtschreibung ließ zu wünschen übrig. Schauen wir mal genauer hin. Die Inschrift lautet:
IOANNI GUTENBERGO PRIMO ARTIS
TYPOGRAPHIGAE INVENTORI, IOANNI
FUSTIO ET PETRO SCHÖFFEROPRIMIS
ARTIS NOVITER INVENTAE SOCIIS
ET COMPLETORIBUS VETERIBUS
INQUILINIS HARUM AEDIUM QUONDAM
ZUM IUNGEN UBI ARS TYPOGRAPHICA
SUAS NATALES ET INCREMENTA
HABUIT PRIMA OFFICINA CONDITA
PERPETUALE MEMORIAE CAUSA HOC
MONUMENTUM ERRECTUM EST
und bedeutete übersetzt etwa „Dieses Denkmal wurde zur Erinnerung an Johannes Gutenberg, Erfinder der Druckkunst, Johann Fust und Peter Schöffer, seine Mitstreiter, errichtet, die in diesem Haus „zum Jungen“ gewohnt und das erste Druckhaus eingerichtet haben.“ Die Rechtschreibfehler haben wir ganz oberlehrerhaft einmal rot markiert (TYPOGRAPHICAE, SCHÖFFERO PRIMIS, ERECTUM müsste es heißen).
Verständlich, dass eine Universität – als Hort der Bildung – sich nicht mit einem solchen fehlerbehafteten Kunstwerk schmücken mochte, obwohl Kurator Fritz Eichholz „durch Stichprobe festgestellt [hatte], dass die Mehrzahl der Universitätsangehörigen aller Grade die Inschrift sowieso nicht versteht“. Latein war offenbar auch damals schon nicht allen Studierenden geläufig. Schließlich nahm sich der Senat des Problems an und griff auf die Empfehlung der örtlichen Experten zurück. Mehrere Direktoren der Naturwissenschaftlichen Institute hatten vorgeschlagen, Gutenberg mit Wurzelbürsten und speziellen Chemikalien zu Leibe zu rücken und so dem natürlichen Verwitterungsprozess der Inschrift etwas nachzuhelfen. Gesagt, getan: Im August 1950 rückte ein Bürstenkommando der Hausverwaltung an und bearbeitete die Inschrift so lange, bis die ursprüngliche farbliche Fassung restlos verschwunden war. Das Wetter tat ein übriges, schon wenig später war die Inschrift kaum noch zu erkennen.
Vom ungeliebten Kind zum Campus-Star
Aller Kritik zum Trotz wurde die Gutenbergbüste schnell zu einem beliebten Fotomotiv – nicht nur bei Studierenden, sondern auch bei der Universität selbst, die beispielsweise ein Bild der Büste auf der ersten Seite des Universitätsführers abbildete, der 1956 zur 10-Jahresfeier der JGU herausgegeben wurde.
Vielleicht kann man sogar sagen, dass die Gutenbergbüste einen neuen Umgang der Universität mit ihrem Namenspatron angestoßen hat. Während noch in den Eröffnungsreden 1946 mit keinem Wort auf Gutenberg eingegangen wurde, stellt sich die JGU nun immer öfter in die Tradition des „Mann des Jahrtausends“ und beschwört seit 2011 auch den Gutenberg-Spirit.
1988 besann man sich auf den Wert des Denkmals und ließ die Inschrift originalgetreu – einschließlich aller Fehler – restaurieren. Nicht ohne Mühen, denn die Hausverwaltung hatte 1950 ganze Arbeit geleistet und die künstliche Verwitterung war so erfolgreich gewesen, dass der Wortlaut der Inschrift nur noch aus den Akten und alten Fotos rekonstruiert werden konnte.
Entscheidender als die Inschrift ist heute die Büste selbst, die zum Wahrzeichen der JGU geworden ist. Standhaft und verlässlich empfängt sie alle Besucherinnen und Besucher, die den Campus betreten und trotzt jedem Wetter. Nur einmal, im Sommer 2015, wurde sie während der Semestereröffnungsfete (SÖF) unsanft vom Sockel gestoßen. Gutenberg überstand den Sturz jedoch unbeschädigt und die Büste konnte von einem Steinmetz schnell repariert werden.
Nicht kleinzukriegen, dieser Gutenberg – ein echtes Mysterium.
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Dr. Christian George ist Leiter des Universitätsarchivs Mainz.