„Die nützlichsten Bücher sind die, die den Leser anregen, sie zu ergänzen.“
Gerade mit Blick auf Universitäten haben Voltaires Worte nichts von ihrer Gültigkeit verloren: Die persönliche Neugier und der Wunsch, das bestehende Wissen zu ergänzen, die aufgeschriebenen Gedanken weiterzudenken, machen Wissenschaft aus. Das Buch ist der Ausgangspunkt dessen, was diskutiert, in Frage gestellt, erweitert oder verworfen werden kann. Wie kaum etwas anderes steht es für den Diskurs, der das Herz jeder Universität ist.
Die Johannes Gutenberg-Universität (JGU) besitzt schon durch ihren Namen eine ganz besondere Verbindung zum Buch. Der Buchdruck mit beweglichen Lettern ist nicht nur eine technische Leistung, sondern ein Meilenstein der kulturgeschichtlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Moderne Universitäten, aufgeklärte Bildung, Forschung und Lehre, wie wir sie heute betreiben, sind genauso Produkte dieser Entwicklung wie sie Motoren ihres weiteren Voranschreitens sind. Wissenschaftliche Literatur, Bücher als Informationsträger und öffentliches Kommunikationsmedium sind damit für uns auch Verwirklichung unseres ‚Gutenberg-Spirits‘: Innovative Ideen fördern und umsetzen, Wissen verbreiten und nutzen, um Menschen zu bewegen, Grenzen überschreiten.
Natürlich setzen sich Studierende und Lehrende unserer Universität auch ganz konkret mit dem Buch als Medium und Material auseinander. Um nur das vielleicht prominenteste Beispiel zu nennen: Die Abteilung Buchwissenschaft am Gutenberg-Institut für Weltliteratur und schriftorientierte Medien ist das weltweit älteste und größte Institut seiner Art. Auch in einer digitalisierten Welt, wie wir sie heute erleben, verlieren Bücher und Bibliotheken nicht ihre Bedeutung, selbst wenn sich ihre materialen Erscheinungsformen ändern. Bibliotheken sind nicht nur physische Wissensspeicher, sondern auch zentrale Orte des universitären Lebens. Hier wird gemeinsam gelesen, gelernt, geforscht, debattiert, altes Wissen wiederentdeckt und bewahrt, neues Wissen generiert und niedergeschrieben.
Idee und Entstehung
Der Entstehung dieses Büchersessels lag die Idee der Künstlerin Liesel Metten zugrunde, dass jedes Buch bewahrt werden müsse – wenn nicht in einer Bibliothek, dann doch als gemeinschaftsstiftendes Kunstprojekt. Vierhundert weggeworfene Bücher aus Altpapiertonnen wurden von den 130 Schülerinnen und Schülern der Liesel-Metten-Schule in Nieder-Olm eingegipst und angestrichen. Aus den verschiedenen Ideen zur Verwendung der konservierten Bücher wurde der Büchersessel ausgewählt und als Bronzeabguss verwirklicht. Insgesamt vier Abgüsse des Sessels sind einem jeweils anderen Bücherthema verschrieben: Im Entstehungsort Nieder-Olm ist er dem Dichter Wilhelm Holzamer gewidmet, in Bacharach wird er als „Rabenstuhl der Poesie“ die Auseinandersetzung der Dichter der Romantik mit dem Mittelrheintal repräsentieren. In der Mainzer Innenstadt thematisiert ein Gutenberg-Sessel die Verbindung der Stadt zu ihrem berühmtesten Sohn.
Das Gesamtwerk der rheinhessischen Bildhauerin und Malerin Liesel Metten umfasst Skulpturen aus Bronze, Gips, Kork, Styropor und Papier. Sie wurde mit zahlreichen Kunstpreisen und 2016 mit dem Verdienstorden des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet.
Der Büchersessel auf dem Gutenberg-Campus
Auf dem Campus der JGU steht unser Abguss vor der Zentralbibliothek, dem Herzen der Mainzer Universitätsbibliothek. Er verweist auf die über 3,5 Millionen gedruckten Medien im Bestand der Universitätsbibliothek und ebenso auf eine fast gleiche große Zahl an verfügbaren E-Books. Zugleich ist er zur Mitte unseres Campus ausgerichtet, wer darin Platz nimmt, blickt hinüber zu dem Ort, der vorgesehen ist für den Bibliotheksneubau. In diesem Neubau soll der Büchersessel nach Fertigstellung der neuen Universitätsbibliothek dauerhaft seinen Platz finden.
Der Büchersessel ist frei zugänglich und lädt Studierende, Lehrende, Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Gäste zu seiner Benutzung ein – am besten lesend, denkend, schreibend. Der Betrachter wird aufgefordert, den Platz mit seinen eigenen Vorstellungen zu füllen, mit seiner eigenen Beziehung zum Geschriebenen – oder (noch) Ungeschriebenen. Den Studierenden, die besonders in Prüfungsphasen viel Zeit in der Zentralbibliothek verbringen und sich mitunter von der Vielzahl der Bücher erschlagen fühlen, zeigt der Büchersessel die besondere Beziehung zum Buch. Der Sessel lädt ebenso dazu ein, auf den vielen Büchern zu ruhen, „Zwerg auf den Schultern von Riesen“ zu sein. Er regt dazu an, das Riesen-Bücherpolster durch eigene Arbeit, durch kritisches Denken und Schreiben wachsen zu lassen. Deshalb widmen wir ihn gerade nicht denjenigen Büchern, die vielgelesen, viel beachtet sind, sondern gerade den ungelesenen Büchern: Ungelesen, weil sie noch gar nicht geschrieben sind, weil sie vergessen sind, vielleicht verloren oder schlicht weil sie zu der Menge von Literatur gehören, die jede und jeder von uns sich zur Lektüre vorgenommen hat, ohne doch bislang dazu gekommen zu sein.
Ein Projekt wie der Büchersessel auf dem Campus der JGU kann nur durch das große Engagement Einzelner verwirklicht werden:
Ich danke Frau Liesel Metten für Ihr wunderbares Werk. Die Entstehungsgeschichte des Büchersessels ist ein eindrucksvolles Zeugnis davon, wie Kunst und schulische Bildung Hand in Hand gehen können. Einen besonderen Dank möchte ich natürlich auch Frau Prof. Dr. Elisabeth Gateff aussprechen, der Stifterin des Büchersessels auf dem Campus. Als emeritierte Professorin unserer Universität tritt sie seit Jahren als großzügige Förderin der JGU in Erscheinung und setzt sich nachhaltig für die Verschönerung des Campus ein. Mit ihrem großen Projekt, den Campus zu begrünen und zu schmücken, prägt sie das Erscheinungsbild der JGU und steigert nachhaltig die Attraktivität des Campus.
Es ist mir eine besondere Freude, dass mit dem Büchersessel ein neues Werk auf unserem Campus seine Heimat findet und ich danke Liesel Metten und Prof. Dr. Elisabeth Gateff ganz herzlich für ihren Beitrag – die zukünftigen ‚Besetzerinnen‘ und ‚Besetzer‘ der Skulptur werden es mir sicherlich gleichtun.
(Foto Liesel Metten: Dr. Kristina Pfarr; Foto Stephan Jolie: Andreas Funabashi)
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Vizepräsident für Studium und Lehre der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Professor für ältere deutsche Literaturgeschichte