Wer kennt sie nicht, die akademischen Abschlussfeiern aus amerikanischen Filmen? Die Studierenden gehüllt in die typischen Umhänge und Mortarboards/Doktorhüte mit Quasten? Zugegeben, uns erinnert das hier und heutzutage eher nicht an akademische Abschlussfeiern. Aber wer hätte gedacht, dass solche Tracht auch an deutschen Unis einmal Brauch war? Damals trugen aber nicht Studierende bei ihrem Abschluss, sondern eher ProfessorInnen diese Gewänder. Im Archiv unserer Universität lagern nämlich nicht nur Akten in Kartons, sondern auch Talare und Barette im besten Hollywooddesign. Die Umhänge sind also schon mal vorhanden. Wie steht es jetzt mit dem sprichwörtlichen Muff von 1.000 Jahren? Soviel sei gesagt: Klamotten sind noch längst nicht alles, auf was man so stoßen kann…
Von Seiner Magnifizenz und den Spectabilitäten
Klar, zu Beginn meines Praktikums im Universitätsarchiv Anfang September 2019 wusste ich das auch nicht. Mit fortschreitendem Semester – ich stand vor meinem vierten in Geschichte und Archäologie – begann ich mich zu fragen, wohin die Reise beruflich denn einmal gehen sollte. So langsam war es Zeit für ein Praktikum. Ich wollte aus der starren Abfolge Vorlesungszeit – Hausarbeiten – Vorlesungszeit ausbrechen und einen Blick in die „echte“ Arbeitswelt werfen. Das Archivwesen hatte mich schon immer interessiert. Auf der Seite des Historischen Seminars stieß ich dann auf eine Anzeige des Universitätsarchivs, bewarb mich und erhielt wenig später die Zusage. Was mich erwartete, glaubte ich nach einem Vorgespräch mit Archivleiter Christian George zumindest einigermaßen einschätzen zu können. Überraschungen gab es dennoch so einige.
Noch während des Rundgangs zu den verschiedenen Lagerräumen des Archivs auf dem Campus – der Archivar sagt „Magazine“ – an meinem ersten Tag tauchte ich in die Geschichte unserer Universität ein. Als die Fachbereiche „Fakultäten“ hießen, das „Alte ReWi“ noch neu und man das ZDV, wenn überhaupt, als „Rechenzentrum“ kannte. Damals gab es auch noch keine Uni-Präsidenten, sondern Rektoren. Diese sprach man ehrerbietig mit „Magnifizenz“, die Dekane mit „Spectabilis“ an, hüllte sich hin und wieder in die schon beschriebenen, wallenden Festumhänge und hämmerte Briefe noch auf Schreibmaschinen. Uni lief eben etwas anders in den 1950ern und 60ern, als man es von heute kennt, erklärte mir mein Betreuer Frank Hüther.
Gleichzeitig pauken wir noch etwas archivisches Fachvokabular:
Aus•he•ben
Von Magazin zu Magazin eilend beförderte ich Akten aus den Eingeweiden der Universität in den Nutzerraum des Archivs in der GFG-Bibliothek. Dort können sich alle mit Interesse an der Geschichte der JGU die Dokumente des Archivs anschauen, von Studierenden, die Unterlagen für eine Bachelor- oder Masterarbeit suchen, bis hin zu ProfessorInnen, welche zur Geschichte ihrer Fachbereiche forschen.
Re•po•nie•ren
Natürlich muss der ganze „Papierkram“ irgendwann wieder an seinen Platz zurückgebracht werden, im Fachjargon nennt man das „Reponieren“. Jede Akte hat ihre Nummer und einen festen Aufbewahrungsort, denn schließlich muss man sie unter den Massen an Schriftstücken (1,2 km Akten lagern in den Regalen des Archivs!) in den Magazinen ja wiederfinden können.
Ver•zeich•nen
Doch wie sieht eigentlich der Weg einer Akte ins Archiv, quasi ihren endgültigen Bestimmungsort, aus? Zunächst bietet jede Einrichtung der Uni Mainz, sei es einer der Fachbereiche, das Studierendensekretariat, der AStA oder die UB, dem Archiv ihre Materialien an. Diese werden dann dort abgeholt, wobei ich den Archivleiter auch einige Male begleiten durfte. So habe ich jetzt schon so manchen Unikeller kennen gelernt. Bei diesen Aktenübernahmen fragt sich der Archivar stets: Welche Rolle spielt diese oder jene Akte in der Geschichte der Universität oder welche Rolle könnte sie einmal spielen?
Ent•grät•en
Nachdem man die vielen Leitz-Ordner dann in die Räumlichkeiten des Archivs getragen hat (ein kostenloser Fitnessstudio-Besuch), steht ein weiterer Schritt an: In allen Akten findet man Klammern und andere Metallwaren – Metall kann aber bekanntlich rosten, das Papier beschädigen und ist somit der Feind einer langfristigen Archivierung Deswegen muss jeder Ordner „entgrätet“, also von allem Metall befreit werden. Zum Einsatz kommen dabei Klammeraffe, Zange oder Taschenmesser – bei der Wahl der Waffen hat jeder seinen eigenen Favoriten.
Ver•pack•en
Abschließend verpackte ich die Schriftstücke in säurefreie Mappen, die jede eine Nummer erhielten. Um den Überblick über die Bestände des Archivs zu behalten, füllt man zudem einen Datensatz in dem speziellen Programm – das Universitätsarchiv verwendet die Software ActaPro - mit den wichtigsten Informationen über jede Akte aus. Dazu gehören ein aussagekräftiger Aktentitel, Angaben zu hervorstechenden enthaltenen Dokumente, eine Datierung und die übergeordnete Einheit, der Bestand. Ein solcher kann bspw. die Hochschulleitung, ein Institut oder der Nachlass eines Professors sein. Jetzt ist die Akte verzeichnet und steht für Forschungszwecke allen Interessierten zur Verfügung.
Wem analog nicht reicht…
Zu meinen Aufgaben gehörte auch die NutzerInnen-Betreuung. Akten im Nutzerraum fein säuberlich zu stapeln und wieder abzutransportieren ist davon allerdings nur ein Teil. Das Archiv ist auf mehreren Online-Plattformen vertreten, auf denen ihr euch ein Bild von der Geschichte der Uni und vieler ihrer Akteure machen könnt. Um sich einen Überblick über die Bestände, d. h. den Inhalt des Uni-Archivs zu verschaffen, eignen sich am besten das Archivportal D oder die Beständeübersicht.
Zu weiteren Recherchemöglichkeiten zählt allen voran Gutenberg Biographics, oder gebräuchlicher das Mainzer Gelehrtenverzeichnis. Wer mal erfahren will, wie der Werdegang der ehrwürdigen Damen und Herren der 1940er bis -70er oder auch der Alten Universität (1477–1798) aussah und was sie neben ihrer Professorentätigkeit sonst so getrieben haben, der ist hier an der richtigen Adresse. Während meines Praktikums war das Gelehrtenverzeichnis ein wichtiges Hilfsmittel: Es gibt nämlich auch Aufschluss über die zu einer/m ProfessorIn gehörigen Akten im Uni-Archiv. Wenn ihr mehr über eine bestimmte Person herausfinden wollt, könnt ihr dort auch sehen, wo online noch Informationen zur besagten Person zu finden sind.
Das Digitale Zeitalter bringt zunehmend die Anforderung mit sich, in Unterlagen nicht nur in einer Papier-Akte sondern auch vom Computer aus blättern zu können. Dass das eine zeitintensive Aufgabe ist, liegt bei der Menge an Schriftstücken pro Akte auf der Hand. Deshalb läuft die Digitalisierung quasi permanent: Das Servicezentrum Digitalisierung und Fotodokumentation (SDF) ist hier mit seinen topmodernen, riesigen Scannern der Ansprechpartner des Archivs. Während einer Führung durch die „Digitalisierungswerkstatt“ durfte ich auch selbst einmal Hand an zwei der Maschinen legen. Die Vielzahl an Parametern, die man bei so einem Scanner einstellen kann – Helligkeit, Seitenränder, Lichtbrechung und Zoom sind nur ein kleiner Teil – hat mich dabei besonders beeindruckt. Da war jedenfalls einiges mehr zu beachten als bei den handlichen, kompakten Apparaten im Kopierraum der Zentralbibliothek.
Gutenberg Capture stellt dann die Quellen online zur Verfügung. Dort findet ihr neben Beständen des Universitätsarchivs auch allerlei Schätze aus dem Altbestand der UB und Digitalisate des Mainzer Stadtarchivs zur Alten Universität. Das ist vor allem interessant für diejenigen, die sich mit der Alten Mainzer Universität beschäftigen möchten. Egal ob Doktordiplome aus dem 19. Jahrhundert, Rechnungen der alten Universitätsbibliothek oder Lehnsbriefe – hier gibt es einiges zu entdecken. Für die Bachelorarbeit habe ich mein Thema schon, aber vielleicht lässt sich mit diesen Quellen ja auch eine Masterarbeit schreiben?
Und das war’s dann schon gewesen?
Wer jetzt denkt, mit Ausheben – Reponieren – Verzeichnen und hier und da einem Digitalisat sei die Arbeit im Archiv auch schon getan, der irrt. Zwar sind die oben genannten durchaus tagfüllende Aufgaben, aber längst noch nicht alle.
Innerhalb der Uni Mainz unterhält das Archiv einige Projekte. Wie dem einen oder anderen von euch vielleicht bekannt ist, feiert die Uni 2021 ihr 75-jähriges Bestehen. Dafür ist ein 800 Seiten starker Jubiläumsband in Arbeit, welcher derzeit unter Koordination von Sabine Lauderbach entsteht. Dafür führte ich Recherchen zu einigen bedeutenden Personen der Universitätsgeschichte durch – wieder war mir das Gelehrtenverzeichnis eine große Hilfe. Außerdem durfte ich bei einem Fototermin für die neue Webseite des Archivs assistieren.
Man sieht also, dass die Arbeit im Archiv keine so staubige Angelegenheit ist, wie man es ihr hin und wieder gerne andichtet. Aber auch ganz andere Sachen kann man bei einem Praktikum im Universitätsarchiv lernen: Der Bücherturm der Zentralbibliothek hat tatsächlich acht und nicht nur drei Stockwerke, in denen jede Menge Bücher aufbewahrt werden. Die vielen Gänge und Kellerräume, die das Gebäude der Zentralbibliothek, in denen auch das Archiv angesiedelt ist, wabenartig durchziehen, sind mir mittlerweile ebenso vertraut. Ich habe Archivkartons richtig falten und das ultimative Vehikel des Archivs – die „Sackkarre“ – fahren gelernt.
Da der Inhalt des Uni-Archivs stetig wächst – eine Stelle hat immer Akten abzugeben – wachsen damit auch die Dinge, die es zu entdecken gibt. Die Arbeit geht hier jedenfalls nicht aus. Vor allem Nachlässe ehemaliger Professoren der JGU können neben den typischen „Papierbergen“ hier und da Überraschungen auf Lager haben: auf Karten (nicht nur Topographie, sondern auch Sprachräume, Burgen u.v.m.), Fotoalben, Porträts oder Patententwürfe kann man durchaus stoßen. Dadurch, dass das Uni-Archiv von jedem Fachbereich der Uni, ob Naturwissenschaft, Geschichte oder Sport, Akten bereithält, finden sicher alle hier etwas zu ihrem jeweiligen Interessen- oder Forschungsgebiet. Daher kann ich euch ein Praktikum im Universitätsarchiv nur empfehlen. Gelangweilt habe ich mich jedenfalls nicht.
Praktikumsbericht: Karsten Welcher