Alle Jahre wieder… werde ich wie viele andere auch von den heraneilenden Weihnachtsfeiertagen überrascht. Während für mich früher der Dezember gefühlt mit Abstand der längste Monat war und das Warten auf den Heiligen Abend zur Qual wurde, hat der Christmonat, je älter ich wurde, einiges an seiner Länge verloren. Vielmehr noch, irgendwie verwandelte sich der längste in den kürzesten Monat.
Auch in diesem Jahr scheinen die Tage im Dezember nochmal kürzer geworden zu sein. Weihnachtsfeier hier. Weihnachtsmarkt da. Es ist bereits der 18. Dezember und draußen liegt Schnee in Mainz (!)… okay eigentlich schmilzt er mehr als dass er liegt. Ich habe bisher weder Plätzchen gebacken noch… verdammt… die Geschenke. Die Geschenke!!! Wo bekomme ich jetzt noch die passenden Geschenke her? Ab in die Stadt… Nein, da ist es mir viel zu voll, zu schneematschig und außerdem habe ich dafür sowieso keine Zeit. Also muss ich wohl auf die Allzweckwaffe dieser Zeit zurückgreifen: AMAZON! Schnell die Weihnachtsbestellfristen checken. Ah okay, bei Standardversand habe ich noch zwei Tage, bei Premiumversand kann ich mir sogar noch bis Freitag Zeit lassen. Zum Glück bin ich seit einigen Jahren Amazon Prime-Mitglied. Das hat schon so seine Vorteile. Also erstmal an die Kleinsten denken. Was könnte denn der 3-jährigen Nichte gefallen? Irgendetwas mit Einhörnern geht doch gerade immer, oder? Bei mir zu Hause haben diese mythischen Wesen zwar nichts verloren, aber meiner Nichte würden sie sicher ein Lächeln schenken und was noch besser ist, ihren Vater ärgern.
Also „Einhorn“ in die Suchmaske eingegeben und siehe da: Einhornhausschuhe in Pink mit goldenem Horn. Das ist so kitschig, das wird gefallen bzw. verärgern. Mist, kein Prime-Artikel. Dann muss es eben die etwas weniger kitschige weiße Variante richten. 13,95€ inklusive Versand und garantierter Zustellung bis Weihnachten. Perfekt! So suche ich auch noch für Klein bis Groß weitere Geschenke aus und muss feststellen, es gibt fast nichts, was es nicht auf der Verkaufsplattform gibt. Also alles Bestens! Alle sind glücklich! Oder etwa nicht? Vergeht da etwa jemand das Lächeln? Für mich ist es natürlich sehr bequem vom heimischen Sofa aus Artikel zu vergleichen und zu kaufen. Dies meist sogar deutlich günstiger als in einem Fachgeschäft in der Stadt, die ja sowieso viel zu voll und schneevermatscht ist. Ich frage mich aber, was hat solch ein Verhalten für Auswirkungen?
Zum einen hat es wohl Auswirkungen auf die Infrastruktur von Städten. Die Innenstädte in finanzschwachen Regionen sterben aus. Ein Leerstand reiht sich hier an den anderen. Wo der Rubel noch rollt, werden die Innenstädte immer anonymer. Worin unterscheiden sich denn noch die Innenstädte von Mainz und Wiesbaden? Ein Franchise-Laden reiht sich an den anderen. Und sie gleichen sich in jeder größeren Stadt in Deutschland. Regionale Läden oder Familienbetriebe sind kaum mehr zu finden. Statt bei Jaques Hermann kauft man heute in Mainz seine (Fastnachts-)Kostüme bei Deiters, statt bei der Gutenberg-Buchhandlung Dr. Kohl seine Bücher bei Hugendubel oder eben Amazon.
Die Gutenberg-Buchhandlung war fast von Beginn an am Campus in den Kolonnaden im Jakob-Welder-Weg 1 vertreten. 2016 war hier nach 70 Jahren Schluss. Mit der Campusbuchhandlung hat sich dann doch noch ein mutiger Nachfolger an diesem Standort gefunden. Was wäre schon ein Campus ohne Buchhandlung? In der Großen Bleiche, in der Dr. Kohl auch eine Dependance der Buchhandlung betrieben hatte, befindet sich nun das „Haus Burgund“ und der „Weisse Ring“.
Ein Stück weiter lässt „Wirth - Der Kinderladen“ Kinderherzen höherschlagen. Mein Herz dagegen blutet seit einigen Jahren immer ein wenig, wenn ich den Laden betrete. Alle Jahre wieder… wird nämlich die Verkaufsfläche dieses Fachgeschäfts immer kleiner. In den beständigen Verkleinerungen wird die Konkurrenz durch die Onlinehändler sehr deutlich sichtbar. Gibt es denn eine Alternative für kleine Geschäfte? Wer nicht die Möglichkeiten hat, einen eigenen Online-Shop anzubieten kann sich noch mit dem „Big Brother“ Amazon verbrüdern? Diese Partnerschaft kann allerdings für die kleinen Unternehmen auch schnell zum Bankrott führen (Doku, ZDFzoom 2015).
Aber nicht nur die Einzelhändler sind die Leidtragenden. Auch die Paketzusteller müssen dabei ihr Päckchen tragen. Viele beschweren sich über die unzuverlässigen Paketboten, auch ich zähle mich zu dieser Fraktion, allerdings darf dabei nicht vergessen werden, unter welchen Bedingungen (Doku, ZDFzoom 2017) die Zusteller zu funktionieren haben. Gerade in der Weihnachtszeit, gerade durch „Close-Before-Christmas-Shoppern“ wie mir, werden die auszuliefernde Pakete immer mehr und der Feierabend verschiebt sich immer weiter nach hinten. Dabei bleibt jedoch die Bezahlung stabil… stabil schlecht.
Die Mutter meiner Verlobten arbeitet bei der Post. Im Gegensatz zu anderen Versanddienstleistern sind hier die Arbeitsbedingungen sogar etwas besser, aber dennoch weit entfernt von gut. Meine Schwiegermutter in Spe berichtet mir regelmäßig von hupenden Autofahrern, die dadurch ihren Unmut über den Lieferwagen, der halb auf der Straße steht, nur weil es anders einfach nicht geht, Ausdruck verleihen, aber anderseits die pünktliche Lieferung ihrer eigenen Pakete erwarten. Von 30 Kilogramm schweren Paketen Hundefutter, die diese zierliche Frau in den dritten Stock tragen muss oder von neuen Arbeitskollegen, die schon nach einer Woche per WhatsApp kündigen. Ganz ehrlich ich frage mich oft, woher sie diese Kraft nimmt. Wie sie dabei nicht ihre Fröhlichkeit und Freundlichkeit verliert. Und trotzdem das hohe Pensum schafft.
Ihre Tochter und meine Verlobte erzählte mir erst kürzlich, dass sie in ihrer Kindheit an den Heiligabenden nicht etwa auf ihre Geschenke, sondern vielmehr auf ihre Mutter wartete, da diese erst spät zuhause eintraf, nachdem sie dafür gesorgt hatte, dass die Geschenke andere Leute noch rechtzeitig zur Bescherung ankamen. Diese Geschichte verdeutlichte mir, dass Weihnachten doch noch immer das Fest der Familie ist. Aber gut, ganz ohne Geschenke ist das halt auch Scheiße. Denn die Freude der Beschenkten ist ja auch immer ein Geschenk für den Schenker selbst. Also was soll ich jetzt tun? Die Amazon-Bestellungen stornieren und stattdessen ab in die Stadt? Aber die ist doch viel zu voll, zu schneematschig und außerdem habe ich sowieso keine Zeit…
Na toll, jetzt habe ich mich nicht mal selbst überzeugen können, auf den leichten Weg auf dem „Amazon“ zu verzichten. Daher fordere ich den Staat auf, mich zum Einkaufen beim Einzelhändler vor Ort zu zwingen. Wie soll das denn gehen? Ganz einfach: mit einer 25-50 prozentigen Steuer auf alle Online-Einkäufe. Jetzt dürfte jeder sagen, der spinnt doch! Jedoch hätten dadurch die Händler vor Ort einen Preisvorteil gegenüber den Onlinehändlern. Ein Einkauf in der Innenstadt würde sich wieder lohnen. Doch was geschieht mit der Onlinesteuer? Auch hierfür habe ich einen Vorschlag: kostenloser ÖPNV! Die Kunden könnten so problemlos in die nächstgrößere Stadt kosten- und klimafreundlich fahren und ihre Einkäufe tätigen. Und so würden die Innenstädte gleich doppelt wiederbelebt werden. Der ÖPNV könnte ausgebaut werden und es würden sowohl im Einzelhandel als auch im ÖPNV neue Arbeitsplätze entstehen. Gut bei Amazon würden dementsprechend vermutlich auch Arbeitsplätze wegfallen, aber wäre das für die Betroffenen wirklich so schlimm? (Doku, ARD 2013). Und alle Jahre wieder… wäre das Gedränge in der Stadt dann wohl kaum auszuhalten. Also Schluss mit dieser Spinnerei, außerdem klingelt es an der Tür. Das muss der DHL-Bote sein, ich warte nämlich noch auf ein Paket von Amazon!
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Daniel Fröb studierte Geschichte und Publizistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Im Sommersemester 2017 schloss er dieses Studium ab. Er ist Mitarbeiter der Universitätsbibliothek Mainz.