Ankommende oder abreisende junge Männer, Kinder in einem sorgsam hergerichteten Wohnzimmer, Abendschul-Unterricht: Mit solchen Motiven hat die Mainzer Fotografin Karin Eckert (1912-2001) Aspekte der Lebensrealität von Menschen mit Migrationskontexten in den 1960er- und 70er-Jahren ins Bild gesetzt – vor allem von damals so genannten „Gastarbeitern“ und Studierenden aus verschiedensten Ländern. Diese virtuelle Ausstellung, die im Rahmen einer Förderung durch die „Stiftung Innovation in der Hochschullehre“ in einem Projektseminar am Historischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) entstand, soll ausgewählte Aufnahmen Eckerts zugänglich machen und einordnen. Das Titelfoto zeigt Gastarbeitende auf dem Mainzer Hauptbahnhof bei der Abfahrt nach Italien am 17.11.1960.
Die Aufnahmen Eckerts, die von 1946 bis 1983 als Bildberichterstatterin der Mainzer Lokalausgabe der „Allgemeinen Zeitung“ (AZ) Ereignisse und Entwicklungen in der Landeshauptstadt dokumentierte, bilden einen einzigartigen Zugang zum Thema Migration und Transnationalität – also des Bezogenseins auf mehrere Orte und „Heimaten“ – im Mainz der 1960er und 1970er Jahre. Ihr im Stadtarchiv Mainz verwahrter fotografischer Nachlass konnte für diese virtuelle Ausstellung erstmals systematisch als Quelle zu regionalen Migrationsprozessen ausgewertet werden – ein Themenfeld, das für die Region seit römischer Zeit immer wieder dynamisch und prägend war und es bis heute ist.
„Transnationalität“ (von lat. trans für „durch, jenseits, hinüber“) kann übersetzt werden mit „staatsübergreifend“ oder „jenseits des Nationalstaats“. Mit dem Begriff, der v.a. in der Soziologie und der Migrationsforschung gebräuchlich ist, werden Phänomene beschrieben, die sich nicht auf einen Nationalstaat begrenzen lassen – insbesondere Lebenszusammenhänge, die Menschen über verschiedene Orte und Länder aufspannen sowie die vielfältigen Verbindungen, die Menschen über nationale Grenzen hinweg pflegen.
Damit spricht der Begriff wichtige Aspekte der Lebensrealität der Menschen an, die in den 1960er- und 70er Jahren nach Mainz kamen – sei es für begrenzte Zeit oder auf Dauer. Sie standen weiter in Beziehung zu ihren Herkunftsländern, praktizierten vielfältige Sozialbeziehungen – und bereicherten die in Mainz ohnehin reiche Tradition grenzüberschreitender, eben transnationaler, Verflechtungen und Austauschprozesse.
Lit.: Pries, Ludger; Transnationalisierung. Theorie und Empirie grenzüberschreitender Vergesellschaftung, Wiesbaden 2010.
Den Ausgangspunkt bildeten neuere geschichtswissenschaftliche Forschungen zu Migrationsprozessen. Diese haben die Sensibilität dafür geschärft, wie zeit-, perspektiv- und standortgebunden Zugänge, Erkenntnisse, Einordnungen und selbst Begrifflichkeiten im Umgang mit diesem Themenfeld vielfach sind. Karin Eckerts Fotografien und die damit verbundene Berichterstattung in der AZ wurden vor diesem Hintergrund als spezifischer Blick auf Aspekte von Migrationsprozessen und Transnationalität verstanden. Dieser Blick ist getragen von mindestens drei Faktoren: Erstens der Professionalität einer erfahrenen Fotografin und Bildberichterstatterin. Karin Eckert wusste, wie ein Bild aufgebaut sein muss, damit es im Pressekontext verwendbar ist – also etwa, dass Bildelemente wie Gesichter, räumliche Bezüge oder thematische Marker gut erkennbar sein müssen. Zweitens den Bedingungsfaktoren von Lokaljournalismus, d.h. dass Fotos meist nicht anlasslos entstehen, sondern dann, wenn Termine abzudecken oder Themen zu illustrieren sind. Sowie drittens, dass ein Blick immer kulturell verankert ist, d.h. dass Karin Eckert aus ihren Prägungen heraus entschied, wie ein Motiv aussagekräftig und interessant ins Bild zu setzen ist. Das bedeutet, dass Karin Eckerts Blick, der sich in den Fotografien manifestiert, gebunden und auch beschränkt ist. Heute diskutierten Gesichtspunkten von gesellschaftlicher Anerkennung, Gleichstellung und Repräsentation können sie zwangsläufig nicht eins-zu-eins entsprechen oder daran gemessen werden.
Bei der Auswertung waren über die Klärung historischer Sachverhalte und Kontexte der Bildquellen hinaus folgende Fragen erkenntnisleitend: Welche Aspekte von Migration werden in den Fotografien aufgegriffen und wie werden diese Themen dargestellt? Lassen sich bestimmte Inszenierungen und Bildbotschaften beobachten? Wie offen und differenziert sind die angebotenen Narrative? Gibt es markante Lücken im Bildkonvolut Karin Eckerts zum Themenfeld Migration und Transnationalität – welche heute als relevant erachteten Aspekte tauchen auf den Fotos also gar nicht auf? Und schließlich: Was kennzeichnet Karin Eckerts Blick auf Migrationsprozesse und Transnationalität in Mainz?
DIE FOTOGRAFIN KARIN ECKERT
„MIT DEM FRÜHLING KOMMEN AUCH DIE ITALIENER WIEDER“
ARBEIT - ANPACKEN BEIM „AUFBAU UNSERER STADT“
SOZIALES LEBEN - EIN „WOHNLICHES ZUHAUSE“
KULTURELLE ASPEKTE - KOMMUNIKATION, SELBSTDARSTELLUNG, SOLIDARITÄT
BILDUNG – SCHULVERSUCH, STUDIENKOLLEG, BERUFSBEGELEITENDE QUALIFIKATION
FAZIT
Die Fotografin Karin Eckert
Die Fotografin Karin Eckert (1912-2001) begleitete über Jahrzehnte das Geschehen in Mainz mit der Kamera. Sie wurde damit zu einer Bildchronistin der Nachkriegsjahrzehnte in der Landeshauptstadt – und selbst zu einer Person der Zeitgeschichte. Ihr berufliches Leben von 1947 bis zu ihrem Ruhestand gegen 1987 war eng mit der Allgemeinen Zeitung (AZ) verbunden.
Eckert, stets eine überaus gepflegte Erscheinung, führte meist zwei Leica-Kameras mit sich, vermutlich mit Filmen unterschiedlicher Empfindlichkeit, um sowohl für Situationen mit mehr als auch mit weniger Licht vorbereitet zu sein. Bei besonders wichtigen Aufträgen machte sie vorsorglich Aufnahmen mit beiden Apparaten, denn das Ergebnis sah man, anders als in Zeiten der Digitalfotografie, erst in der Dunkelkammer. Letztere betreute ihre Schwester Paula Ludwig. Die Arbeiten erfolgten bis auf die letzten Berufsjahre in einer geräumigen Mietwohnung im Haus Colmarstraße 6 in der Mainzer Neustadt. Die Ergebnisse konnten häufig bereits am Folgetag in der AZ betrachtet werden.
Das Einsatzgebiet der freiberuflichen Fotografin umfasste neben dem Stadtgebiet die Mainspitze, Hochheim sowie zeitweise auch Rüsselsheim und Trebur. Linksrheinisch deckte Eckert den Bereich bis hinauf nach Oppenheim ab, hinunter meist jedoch nur bis Budenheim. Wichtiger Auftraggeber neben der AZ war über viele Jahre Bürgermeister und Sozialdezernent Karl Delorme. Mit ihm und für ihn war Eckert häufig unterwegs: Altersheime, Stadtranderholung, Rentnerbund-Ausflüge, hohe Geburtstage und dergleichen waren Delormes Betätigungsfelder und Eckert setzte ihn dabei vorteilhaft ins Bild.
Weitere Motive ergaben sich aus journalistischer Aktualität und aus dem Jahreslauf – vom Neujahrsumzug der Garden über Fastnachtssitzungen, Ausstellungen im Stadtpark-Blütenhaus, die Johannisnacht bis hin zu Weihnachtsfeiern und dem „Stromschwimmen“ der Männer der Berufsfeuerwehr am Silvestertag. Häufig begleitete Eckert mit ihren Kameras auch die Polizei, die US-Garnison in Gonsenheim sowie das kirchliche Leben der beiden großen Konfessionen. Die Schwestern waren evangelisch und besonders der Christuskirchen-Pfarrei verbunden.
Als kontinuierliche Bildchronistin wurde Eckert über die Jahrzehnte selbst zu einer Mainzer Institution, ihr zu „Karin“ verkürzter Taufname Katharina war eine Marke. 1980 ehrte Oberbürgermeister Jakob „Jockel“ Fuchs sie mit dem neu geschaffenen „Mainzer Teller“. In einem Kurzporträt, das anlässlich ihres 70. Geburtstages am 9. August 1982 in der AZ erschien, heißt es, sie habe sich „vor zwei Jahren aus der aktiven Arbeit zurückgezogen“. In den Ruhestand trat die Fotografin indes erst gegen 1987. Die Stadt Mainz ehrte die 2001 89jährig verstorbene Karin Eckert posthum, indem sie im Marienborner Neubaugebiet eine Straße nach ihr benannte.
Das Erbe Karin Eckerts, zu dem auch die Rechte an ihrem umfangreichen, im Stadtarchiv Mainz verwahrten Bildnachlass gehören, wurde 2008 der Evangelischen Kirchengemeinde Budenheim übergeben. Dort wird es in Form der „Karin Eckert & Paula-Ludwig-Stiftung“ verwaltet und soll wohltätigen Zwecken dienen.
Lit.: Neise, Harald: Ein Leben für die AZ. Rückblick auf das Leben und Wirken der Pressefotografin Karin Eckert, in: Mainz – Vierteljahreshefte für Kultur, Politik, Wirtschaft, Geschichte, Nr. 3/2017, S. 48-52.
Den Bildnachlass der 2001 kinderlos verstorbenen Karin Eckert übergaben die Erben dem Stadtarchiv Mainz. Er umfasste etliche Umzugskartons mit monatsweise grob sortierten Kleinbild-Filmrollen, die meist aus den Jahren ab 1957 stammten.
Harald Neise, Experte für die Mainzer Verkehrsgeschichte, sichtete über sechs Jahre hinweg die Aufnahmen aus rund 14.000 Filmrollen. Er erschloss die Inhalte mit allen wichtigen Daten, versah sie mit aussagekräftigen Schlagworten und katalogisierte den Bestand sorgfältig. Wertvoll hierbei war der akribisch geführte Arbeitskalender Karin Eckerts. Aus dem Fundus der knapp 400.000 vorgefundenen Negative scannte Neise über 39.000 für das Mainzer Stadtarchiv ein, wo sie in der Bild- und Plansammlung (BPS) recherchiert werden können. Nutzungsrechte müssen bei der „Karin Eckert & Paula-Ludwig-Stiftung“ eingeholt werden.
Lit.: Neise, Harald: Ein Leben für die AZ. Rückblick auf das Leben und Wirken der Pressefotografin Karin Eckert, in: Mainz – Vierteljahreshefte für Kultur, Politik, Wirtschaft, Geschichte, Nr. 3/2017, S. 48-52.
Gastarbeitende der 1960er- und 1970er-Jahre gingen meist ein befristetes Arbeitsverhältnis über die Hauptsaison ein und reisten mit dem Zug an und ab. Für diese Reisen war ein hoher logistischer Aufwand nötig. Die Bundesbahn richtete einen „Entlastungs- und Gastarbeiterverkehr“ ein – vor allem vor Weihnachten sollte so der bereits dichte bundesdeutsche Verkehr durch den Einsatz von Sonderzügen entlastet werden. Der Mainzer Hauptbahnhof entwickelte sich regional zu einer Art „Umschlagplatz“ (AZ: 21.03.1971), da von hier aus Migrierende ins gesamte rheinhessische Gebiet weiter- und von Mainz aus in ihre Heimaten zurückreisten. Arbeitende nutzten etwa regelmäßig zur Verfügung gestellte Sonderzüge, um an Wahlen in ihrem Heimatland teilzunehmen – eine aktive politische Partizipation in der Bundesrepublik wurde durch einen restriktiven Umgang mit der Vergabe des westdeutschen Passes erschwert.
Im Nachlass Eckert nimmt das Thema An- und Abreise von Gastarbeitenden breiten Raum ein. Quantitativ zeigen mehr als ein Drittel der Aufnahmen Menschen am Hauptbahnhof in Mainz. Die Bildquellen – und dies lässt sich in verschiedenen Kontexten feststellen – transportieren insofern sehr deutlich einen Aspekt, der als Temporarität (abgeleitet von temporär für vorübergehend) angesprochen werden kann: Der Aufenthalt dieser Menschen in Mainz wird als zeitlich begrenzt, als befristet dargestellt.
Ferner werden häufig italienische Migrierende abgebildet, welche zu dieser Zeit auch einen Großteil der Gastarbeitenden in Mainz stellten. So dokumentierte die Fotografin zum Beispiel die Abreise von italienischen Arbeitenden zur Parlamentswahl 1963 (AZ: 27./28.04.1963). Reiseanlässe waren zudem oft jahreszeitlich oder an die Saisonalität etwa der Baubranche gebunden. Eckert hielt etwa die Abreise der Gastarbeitenden vor Weihnachten 1960 fest (AZ: 17.11.1960). Im Frühjahr darauf wird den AZ-Lesenden verkündet: „Mit dem Frühling kommen auch die Italiener wieder“ (AZ: 17.03.1961). Das An- und Abreisen der italienischen Arbeitenden wird somit als etwas Wiederkehrendes, beinahe Rituelles präsentiert. Dass es sich um temporäre, nicht-deutsche Arbeitskräfte handelt, wird in den begleitenden AZ-Artikeln mit den Begriffen „Saisonarbeiter“ und „Fremdarbeiter“ markiert. Zudem fallen stereotypisierende Beschreibungen auf – so werden Männer als „schwarzhaarige Enricos“ (AZ: 21.03.1961) bezeichnet und bei einem Mädchen die „dunkeln Augen“ und die „vollen Lippen“ (AZ: 18.11.1960) hervorgehoben.
Sie sind unverzichtbare Begleiter der Gastarbeitenden auf dem Weg nach Westdeutschland und zurück: Koffer. Dieses Bildelement ist in Karin Eckerts Nachlass häufig zu finden: Menschen, welche auf dem Bahnhof Koffer in der Hand halten, schultern oder auf einem Rollwagen vor sich herschieben. Dabei vermitteln die Aufnahmen oft den Eindruck, dass es den gezeigten Personen gutgehe und die Stimmung geradezu freudig sei. Gleichwohl schwingt auch eine weitere zentrale Bildbotschaft mit: Hier zeichnet sich kein Sesshaftwerden ab, hier kommen Menschen lediglich für eine begrenzte Zeit. Das Bildelement Koffer steht damit sinnbildlich für die angesprochene Temporarität der Präsenz der angeworbenen Arbeitenden.
Inhalte von Koffern sind in Karin Eckerts Bildkonvolut nicht dokumentiert. Damit öffnet sich hier Raum für Fragen und Assoziationen: Womit kamen die Menschen an? Was ließe ein Kofferinhalt über ihr Leben, ihre Möglichkeiten, ihre Sehnsüchte erkennen? Bekannt ist, dass sich in Koffern von Gastarbeitenden neben Kleidung häufig Erinnerungsstücke befanden, was auf Verbundenheit mit den zurückgelassenen Familien und dem Heimatland schließen lässt. Bei der Abreise hatte sich, wie die AZ berichtete, die Anzahl der Gepäckstücke nicht selten vergrößert – ein sichtbares Zeichen dafür, dass sich die Menschen im Wortsinne etwas erarbeitet hatten. Die Koffer waren nun teils sogar mit Abschiedsgeschenken ihrer Firma gefüllt: „Zigaretten, Schokolade, ein kleines Fläschchen Kognak für unterwegs…“ (AZ: 18.11.1960).
In diesen wichtigen Lebensbereich vermittelt der Bestand somit nur wenige Einblicke. Ausnahmen bilden spanische Gastarbeitende beim Paketumschlag auf dem Hauptbahnhof sowie eine Fotografie von der Baustelle des Hertie-Kaufhauses in der Mainzer Innenstadt, auf der Eckert mehrere Männer in klassischer Präsentations-Pose ablichtete.
Für den Abdruck in der AZ am 16. Mai 1963 wurden die Arbeitskontexte durch einen starken Beschnitt weitgehend ausgeblendet. Der Bericht indes, der die Männer nicht als „Gastarbeiter“, sondern als „Stammkolonne ausländischer Firmen“ anspricht, schlägt einen positiven und würdigenden Grundton an. So wird der Beitrag solcher Männer zum „Aufbau unserer Stadt“ hervorgehoben und ihre Expertise im Vergleich zu den „Friseurgehilfen aus Italien“ unterstrichen. Zudem wird die Anwesenheit von Menschen aus mehreren Nationen als Zeichen des „Zusammenwachsen[s] der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ gefeiert.
Großbetriebe des Bergbaus und der Schwerindustrie waren die großen Arbeitgeber für Gastarbeitende, wobei auch die Bauwirtschaft oft Stellen bot. Wichtiger Arbeitgeber im Raum Mainz war insbesondere das Jenaer Glaswerk Schott & Genossen und das auf der von Karin Eckert fotografierten Baustelle tätige Dortmunder Bauunternehmen Wiemer & Trachte. Die Vergütung der Arbeit war allerdings meist unterdurchschnittlich. Häufig nur mit Überstunden näherten sich Gastarbeitende dem jeweiligen branchenbezogenen Gehaltsdurchschnitt an.
Gewiefte Leser:innen werden in den vorgegangenen Abschnitten möglicherweise bereits einen fliegenden Wechsel von Begriffen wie „Gastarbeiter“, „Gastarbeitende“ „Menschen mit Migrationskontexten“, „Arbeiter:innen“ und mehr bemerkt haben. Diese Begriffsvielfalt ist nicht mangelndem Willen zu terminologischer Klarheit geschuldet. Vielmehr verweist sie auf einen Perspektivenpluralismus in diesem Themenfeld sowie nicht selten heikle Abwägungsfragen – über die auch immer wieder diskutiert werden kann und muss.
Welche Begriffssetzung ist sachlich adäquat und nicht ausgrenzend? Welche entspricht der Selbstbeschreibung der Menschen – damals und heute? Wie lässt sich mit Fragen nach Anerkennung und sprachlicher Repräsentanz angemessen umgehen? Derlei Fragen stellten sich bei der Erstellung der vorliegenden Ausstellung immer wieder.
Deshalb wurde zum einen entschieden, Begriffe, die in den Quellen vorkommen, stehen zu lassen, aber „auch als solche zu lassen“. Denn die Quellen zeigen, wie in den Nachkriegsjahrzehnten nach passenden Bezeichnungen gesucht wurde. So findet sich etwa in den frühen 1960-Jahren noch der Begriff „Fremdarbeiter“, der zwar bereits seit dem 19. Jahrhundert für ausländische Arbeitskräfte gebräuchlich war, durch das „Dritte Reich“ jedoch auch negative Aufladungen erfuhr.
Zunehmend wurden dann Begriffe wie „Saisonarbeiter“ und „Gastarbeiter“ verwendet, wobei beide den Nachteil haben, die zeitliche Begrenztheit des Arbeitsverhältnisses zu betonen, was in der Rückschau als diskriminierend und integrationshemmend gelesen werden kann. Andererseits: Wollten alle damals als „Gastarbeiter“ bezeichneten Menschen wirklich dauerhaft in Westdeutschland bleiben? Wäre dies pauschal zu behaupten, etwa mit einem Begriff wie „Arbeitsmigrant:innen“, nicht ebenfalls eine möglicherweise verzerrende Engführung? Begriffe wie „ausländische Mitarbeiter“ in den 1970er Jahren deuten jedenfalls auf einen veränderten Blick und ein auch sprachliches Bemühen um Integration.
Zum andern entschied sich das Autor:innenkollektiv, Begriffe, sofern sie nicht quellengebunden sind, i.d.R. geschlechtsneutral zu formulieren. Denn, auch wenn in den Bildquellen Karin Eckerts zum Thema Migration und Transnationalität in Mainz Frauen kaum zu finden sind: In den frühen 1970er Jahren lag ihr Anteil an der Arbeitsmigration in die Bundesrepublik bereits bei über 30 Prozent. Dies zumindest sprachlich zu markieren, schien nicht weniger als ein Gebot der Fairness.
Die Verfügbarkeit von Wohnraum erwies sich in Mainz und anderen Städten als Problem. So beklagte die AZ 1971 „die schlechten Unterbringungsmöglichkeiten der ausländischen Arbeitskräfte“ (AZ: 14.12.1971), die häufig auf dem freien Wohnungsmarkt nach einer Unterkunft suchen mussten. Doch dieser hielt für sie oft schlechte Angebote und hohe Mietpreise bereit. Unterstützung wurde vor allem von Industriebetrieben wie dem Jenaer Glaswerk Schott & Genossen gegeben, das Wohnraum für Gastarbeitende zur Verfügung stellte, in welchem diese „ein wohnliches Zuhause“ finden sollten (AZ: 23/24.06.1973).
Im Nachlass Eckert lassen sich 13 Aufnahmen dem Themenfeld Wohnen in Bezug auf Gastarbeitende in Mainz zuordnen. Dabei bieten nur wenige einen Einblick in das Innere einer Wohnung. Auf einer zeigt die Fotografin ein sorgsam aufgeräumtes Wohnzimmer, in dem zwei brav dastehende Mädchen – hinter denen die Fotografin in einer Spiegelung zu erkennen ist – für die Aufnahme posieren. Andere Aufnahmen zeigen häufig eine Außenansicht, verbunden mit der Information, dass es sich um neue Bauten handle. So werden Bauprojekte von Schott als „vorbildlich“ gelobt und die „freundlichen Zwei- und Dreibettzimmer“ (AZ: 23/24.06.1973) hervorgehoben.
Verbunden mit Fotos von Karin Eckert, die den Abriss ehemaliger „Ausländer-Behausungen“ zeigen, werden jedoch auch Missstände thematisiert. Der Abriss eines Hauses in der Frauenlobstraße (Nr. 60) wurde zum Anlass, um einen Skandal aufzudecken: Der Besitzer des Hauses, in welchem der AZ zufolge etwa 100 „Gastarbeiter“ in „menschenunwürdigen Unterkünften“ (AZ: 04.01.1980) lebten, hatte diesen im Winter offenbar Heizung und Strom abgestellt, um sie ohne Kündigung aus dem Haus zu vertreiben. Auch der Abriss einer Holzbaracke in der Zwerchallee offenbarte, dass nötige Renovierungen des erst zehn Jahre zuvor errichteten Gebäudes als finanziell „nicht lohnend“ angesehen wurden (AZ: 22./23.03.1975).
Das Gebäude Mombacher Str. 109 – 1971 und 2021
Wiederholt werden in der Berichterstattung zum Thema Wohnen Vorbehalte gegen Gastarbeitende deutlich. So werden in einem Artikel mit der Überschrift „Nicht auf Kosten Mainzer Bürger“ (AZ: 16.07.1970) die Sorge vor einer „Last“ durch Vermietung an Gastarbeitende sowie eine mögliche Gettobildung angesprochen.
Auch im Themenfeld Wohnen fallen Aspekte der angesprochenen Temporarität auf. So waren Unterkünfte teils nicht auf eine lange Nutzungsdauer angelegt und die Wohnsituation wird als zeitlich begrenzt dargestellt. Andererseits wird aber auch ein gewisses Mitfühlen signalisiert, wenn dargestellt wird, dass Gastarbeitende mit dem Abriss ihrer Bleibe ihr langjähriges Zuhause verloren.
Die Ausstellungen „Ausländer in Mainz“
Sowohl 1977 als auch 1978 wurde in der AZ in Verbindung mit Fotografien von Karin Eckert über eine Ausstellung „Ausländer in Mainz“ berichtet (AZ: 05./06.02.1977 sowie 26.09.1978). Diese Präsentationen wurden von ausländischen Mitbürger:innen organisiert. Sie stellten neben Informationen, Fotografien, Kunstgegenständen und Spezialitäten auch Bräuche – etwa Folkloretänze – aus ihrer Heimat vor.
Geradezu euphorisch vermerkt die Berichterstattung, dass der Besucher „gar nicht anders [könne] als in Urlaubsstimmung zu kommen“ (AZ: 05./06.02.1977). Bereits im Titel hob die AZ die Bedeutung alkoholhaltiger Getränke bei beiden Ausstellungen hervor, wobei anzumerken ist, dass der Genuss von Spirituosen in den 1970er Jahren anderen gesellschaftlichen Maßgaben unterlag als heute und oft eng in Zusammenhang mit Geselligkeit stand. 1977 lautete die Überschrift „Hochprozentiges aus dem Süden“ (AZ: 05./06.02.1977), 1978 „Visitenkarte aus Tanz und vielen Schnäpsen“ (AZ: 26.09.1978).
Karl Delorme gehört zu den Persönlichkeiten in Mainz, die die Kommunalpolitik in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich mitgestaltet haben. Mit 37 Jahren wurde er 1957 zum hauptamtlichen Dezernenten gewählt. Er war verantwortlich für das Sozial- und das Jugendamt, das Flüchtlingswesen und das Lastenausgleichsamt, die Altersheime sowie das Wohnungs- und Gesundheitswesen. 1983 wurde er in den Deutschen Bundestag gewählt.
Delorme profilierte sich vor allem mit dem Aufbau einer sozialen Infrastruktur nach dem Krieg und bei der Schaffung von sozialem Wohnraum. Daneben förderte er auch das Brauchtum und die Kultur wirkungsvoll, etwa indem er die Etablierung der Mainzer Johannisnacht oder des Open-Ohr Festivals vorantrieb und den Vorläufer der Interkulturellen Woche ins Leben rief.
Neben seinen hauptamtlichen Aufgaben übernahm er zahlreiche Ehrenämter und erhielt hohe Auszeichnungen, darunter die Ehrenbürgerschaft. Gewürdigt wurde damit, dass er „im Zeichen von sozialer Solidarität und christlicher Nächstenliebe in Mainz eine umfassende, prägende Aufbauarbeit geleistet und dabei vorausschauend in vielen Bereichen wegweisende Weichen für die Stadt gestellt“ hat, wie es in der Begründung heißt.
Delorme prägte Mainz nachhaltig und genoss hohe Wertschätzung. An das Lebenswerk des kämpferischen Sozialdemokraten erinnert der Karl Delorme-Preis.
(Quelle: https://www.mainz.de/kultur-und-wissenschaft/stadtgeschichte/karl-delorme.php [letzter Zugriff: 22.12.2022]).
Auffällig ist die Betonung einer Andersartigkeit der Aussteller, wobei unter anderem deren „Lebensfreude“ hervorgehoben wird. Einiges deutet an, dass es zwischen Mainzer:innen und Gastarbeitenden oft wenige Berührungspunkte gab. Vor diesem Hintergrund wird positiv hervorgehoben, dass sich bei den Ausstellungen am Rande „so manches Gespräch“ entwickelte (AZ: 26.09.1978).
Wenngleich Migrant:innen zusehends nicht nur für saisonale Arbeitstätigkeiten eng befristet nach Westdeutschland kamen, sondern langfristig hier lebten und teils auch ihre Familien nachholten, blieb die Verbundenheit mit dem Herkunftsland oft groß. Das zeigte sich beispielsweise, als ein schweres Erdbeben am 24. November 1976 den Osten der Türkei erschütterte und Tausende Menschenleben kostete. Die rund 300 türkischen Gastarbeitenden des Jenaer Glaswerks Schott & Genossen in Mainz nahmen dies zum Anlass für eine Solidaritätsaktion für die Opfer, über die auch die AZ berichtete (AZ: 10.12.1976). Bei der Sammlung kam der stattliche Betrag von 13.456 DM zusammen, was die AZ als Ausdruck einer starken Verbindung der Gastarbeitenden zu ihrem Heimatland wertete. Ein Mitglied des Betriebsrats von Schott, Cafer Kalyoncu, initiierte zudem eine Kleidersammlung für die türkischen Erdbebenopfer.
Auch im akademischen Kontext wurden Migration und Transnationalität in der AZ-Berichterstattung in Verbindung mit Fotos von Karin Eckert thematisiert. Ein Beispiel hierfür ist ein „Uni-Basar“ an der Johannes Gutenberg-Universität, der laut AZ-Bericht unter dem Motto „Studenten helfen Studenten“ stand. In diesem Sinne wurden Produkte aus den verschiedensten Ländern angeboten, der Erlös diente der Unterstützung von Studierenden aus Entwicklungsländern (AZ: 8./9.12.1961 und 10.12.1961).
„Argentinisches Barbecue“
Denkt man heute an ein multikulturelles Stadtbild, gehört eine internationale Gastronomie mitsamt kulinarischen Spezialitäten aus diversen Ländern fest dazu. Dass landestypische Speisen verschiedene Gruppen im Sinne des Austauschs zusammenbringen können, wurde auch im Jahre 1964 bei einem argentinischen „Barbecue“ deutlich, das Karin Eckert fotografierte.
Die AZ berichtete, dass ungefähr 50 junge Leute aus über 15 Nationen sich zu diesem vom „Mainzer Ausländerkreis“, offenbar einem Vorläufer des Ausländerbeirats, organisierten Grillfest in Heidesheim trafen. Vorrangig handelte es sich um Studierende und Praktikanten. Aber auch Passanten blieben, wie die AZ notierte, stehen und wurden spontan verköstigt (AZ: 25.05.1964). Aus dem Artikel wird ersichtlich, dass die „verwunderten Spaziergänger“ zuvor wohl kaum Kontakt zu jungen Menschen aus anderen Nationen gehabt hatten.
Eine Sonderstellung im Bildbestand Eckert nehmen Aufnahmen von Kunden einer Freibank in Wiesbaden ein, einer mit dem städtischen Schlachthof verbundenen Verkaufsstelle für minderwertiges, aber nicht gesundheitsschädliches Fleisch, das außerhalb des regulären Handels billiger verkauft wurde. Der Andrang auf diese Ware war so groß, dass deutsche Kundinnen und Kunden mit Migrationskontexten konkurrierten – ein Problem, das sich um die Jahreswende 1968/69 zuspitzte und zum Gegenstand der AZ-Berichterstattung wurde. Im Dezember 1968 wurde der Amtsleiter des Schlachthofs bereits mit den dramatischen Worten zitiert: „Die ausländischen Arbeiter sind kaum noch in Schach zu halten“ (AZ: 10.01.1969). Im Januar 1969 verstieg sich dann Stadtrat Ramberger zu der Formulierung, der Konflikt entwickle sich zum „Bürgerkrieg“. „Ausländische Kunden […] aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet“, berichtet die AZ, drängten „die deutschen Kunden, oftmals Rentner und körperbehinderte alte Menschen“ beiseite.
Eine am 24. Januar 1969 publizierte Aufnahme Karin Eckerts zeigt eine zumindest vordergründig bereits wieder etwas entspanntere Situation. Denn zum Jahreswechsel waren der „deutschen Kundschaft“ und der „ausländischen Kundschaft“ je ein spezieller Verkaufstag zugewiesen worden (AZ: 10.01.1969), was in einem Leserbrief wiederum als diskriminierend kritisiert wurde und zu weiteren politischen Debatten führte, in deren Zusammenhang das Eckert-Foto erschien. Die Aufnahme zeigt eine angeblich homogene Gruppe von, wie es hieß, „Ausländern“ in Alltagskleidung, teilweise in die Kamera lächelnd, teilweise abgewandt. In der Mitte befindet sich zudem ein Kind. Auffällig ist in der Berichterstattung, dass die migrantische Perspektive nicht adäquat eingebunden, sondern vorrangig über „die Ausländer“ gesprochen wird.
Bildung von Kindern – der Schulversuch an der Mainzer Eisgrubschule
Eine entscheidende Voraussetzung für gelingende Integration liegt in der Bildung. Für Kinder, die sich noch in der kognitiven Entwicklung befinden, sind Spracherwerb und das Lernen in der Schule von elementarer Bedeutung. Aber auch Berufsaus- und Weiterbildung oder Studium sind für den Lebensweg von Menschen in Migrationskontexten von zentraler Bedeutung. Im Bildkonvolut von Karin Eckert wird das Themenfeld mehrfach greifbar.
Lange wurden die Kinder von Gastarbeitenden in Westdeutschland in länderspezifischen Klassen und nicht im Regelbetrieb beschult. In Mainz beispielsweise gab es rein italienische und ab 1973 auch türkische Einführungsklassen. Allerdings verließen rund zwei Drittel dieser Kinder die Schule ohne Abschluss und nur 30 Prozent derer, die ein Bildungszertifikat erlangten, fanden im Anschluss eine Lehrstelle. Vor diesem Hintergrund wurde an der Mainzer Eisgrubschule 1979 ein „Schulversuch“ begonnen, bei dem italienische Kinder auf den Übergang ins reguläre deutsche Schulsystem in speziellen Vorbereitungsklassen vorbereitet werden sollten. Dies stellte einen neuen Ansatz im Umgang mit Gastarbeitenden und deren Kindern dar, da deren Aufenthalt zuvor meist als zeitlich begrenzt und dauerhafte Integration folglich nicht als vorrangig betrachtet wurde.
Eine Aufnahme Eckerts zeigt Kinder aus dem Schulversuch. In der Berichterstattung wird deutlich, dass die Beschulung der Kinder von Gastarbeitenden als problembehaftet wahrgenommen wurde. Dem wird jedoch entgegengetreten. So wird ein Schüler zitiert: „Wir vertragen uns ganz normal und ab und zu kloppen wir uns“ (AZ: 17.01.1980). Die Klassenlehrerin erklärt, dass es Streitereien in Zusammenhang mit der Nationalität nicht gebe. Konrektor Pieroth ergänzt: „Die könnens, glaube ich, auch schon langsam nicht mehr hören, wenn ständig von Problemen mit Ausländern gesprochen wird.“ (AZ: 17.01.1980).
Erwachsenenbildung – das Mainzer Studienkolleg
In der Erwachsenenbildung wurden in Mainz vielfältige Maßnahmen ergriffen, um Menschen aus Migrationskontexten einen Weg in die Integration zu ebnen. Ansatzpunkte waren vor allem die Förderung von Sprachkenntnissen für bessere berufliche Perspektiven und gesellschaftliche Teilhabe sowie der Erwerb eines höheren Bildungsgrads.
So wurde vom Land Rheinland-Pfalz das Mainzer Studienkolleg eingerichtet, um Zugewanderten durch Vorbereitungskurse den Einstieg in ein Hochschulstudium zu erleichtern (12.12.1963). Unterrichtet wurden diese durch etwa achtzehn Studienräte von Mainzer Gymnasien. Bereits 1962 startete ein Testlauf des Studienkollegs mit 15 Personen. Im Folgejahr zog das Studienkolleg in neue Räumlichkeiten in die Uferstraße, um mehr Teilnehmende aufnehmen zu können – ein Schritt, den Karin Eckert als Bildchronistin der AZ dokumentierte. Zur speziellen Vorbereitung auf Vorlesungen wurden den Lernenden „Bandaufnahme[n] mehrere Male vorgespielt, ehe sie die Aufnahmen notieren müssen“ (AZ: 12.12.1963).
Nach Abschluss eines solchen Kurses konnten die Absolventen im gesamten Bundesgebiet ein Studium aufnehmen. An zahlreichen anderen deutschen Hochschulen waren solche Kurse bereits früher als in Mainz etabliert worden. Hier hatte Hochschul-Anwärtern zunächst nur der Weg offengestanden, ein zweisemestriges Vorbereitungsstudium an der Universität zu absolvieren.
Die Mainzer Sonderklasse zur Berufsfortbildung
Neben der schulischen und (vor-)universitären Bildung hat Karin Eckert als Redaktionsfotografin der AZ auch klassische Ausbildungsberufe und entsprechende Einstiegsmöglichkeiten und Unterstützungsmaßnahmen für Gastarbeitende dokumentiert. So berichtete die AZ 1964 über eine Sonderklasse in Mainz, in der Praktikanten „made in Germany lernen“ (AZ: 24.11.1964).
1964 befanden sich ca. 12.000 ausländische Praktikant:innen und Lehrlinge in der Bundesrepublik. Zu Beginn wurden diese in die deutschen Berufsschulklassen integriert, was aber nur geringen Erfolg zeigte. Einer der Hauptgründe dafür war eine große Heterogenität der Gruppen: Verständnisschwierigkeiten, unterschiedliche Bildungsbiografien sowie divergierende Altersgruppen stellten die Akteure vor enorme Herausforderungen. Daher wurde in Mainz in der Gewerblichen Berufsschule unter dem etwas patriarchalisch klingenden Motto „Entwicklungshilfe durch Bildungshilfe“ eine „Sonderklasse“ für ausländische Praktikant:innen und Lehrlinge, die in rheinhessischen Industriebetrieben arbeiteten, eingerichtet.
Diese Mainzer „Sonderklasse“ war die einzige in Rheinland-Pfalz. Der Unterricht fand samstags siebenstündig statt, die Teilnahme war freiwillig. Er zeigte, wie die AZ hervorhob, rasch Erfolge, weshalb im Folgejahr erneut eine „Sonderklasse“ geplant wurde. Nach erfolgreichem Abschließen des Unterrichts erhielt ein Teilnehmer sogar die Berechtigung zum Vorstudium an der Universität Kaiserslautern, wie ein Lehrender der AZ zufolge „voll Freude berichtete“. Gerechnet wurde im Vorfeld mit zwölf Teilnehmenden, bereits zu Beginn waren es jedoch doppelt so viele. Zu den Lernenden gehörten unter anderem junge Menschen aus Togo, Italien, Griechenland, Nigeria oder Argentinien (AZ: 24.11.1964).
Der fotografische Umgang mit diesen Themen war dabei von der routinierten Professionalität einer erfahrenen Bildjournalistin geprägt, die bei ihrer Arbeit auf publizierbare, aussagekräftige Aufnahmen abzielte. Die Themenwahl folgte vor allem tagesjournalistischen Logiken, eigene Schwerpunktsetzung werden kaum erkennbar – so sind Kinder ebenso wie Frauen in den untersuchten Kontexten nur in wenigen Aufnahmen zu finden. Bildaufbau und Bildgestaltung bewegen sich meist im Rahmen eines traditionellen visuellen Erzählstils. In der Bildsetzung nimmt Karin Eckert häufig eine neutrale Beobachterperspektive ein, verbunden mit einem Blick, der eher Gruppen als Individuen zeigt. Nicht selten vermitteln ihre Aufnahmen indes auch eine Neugier und Empathie, die nahe an die gezeigten Menschen und ihre Lebens- und Gefühlslagen heranführt – etwa, wenn die Fotografin das Strahlen in den Gesichtern der Gastarbeitenden vor der Abreise auf dem Mainzer Bahnhof einfängt.
In der Gesamtschau lässt sich somit bilanzieren, dass Karin Eckerts Blick einen Blick auf Migration und Transnationalität in Mainz darstellt – eine Perspektive unter vielen möglichen Perspektiven. Gleichwohl ermöglichen Eckerts Aufnahmen wichtige Einblicke in Lebensrealitäten und zeigen auf, welche Themenfelder in Bezug auf Migration und Transnationalität damals ins Blickfeld der Mainzer Öffentlichkeit gerückt wurden.
Diese virtuelle Ausstellung wurde im Sommersemester 2022 im Rahmen des Projektseminars „Transnationales Mainz der 1960er/70er-Jahre“ am Historischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität erstellt. Dieses Seminar war eingebettet in das von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre geförderte Projekt „Mainzer Modelle für digital erweitertes Lehren und Lernen (ModeLL-M)“ (https://modell-m.uni-mainz.de).
Zum Autor:innenkollektiv gehörten Oliver Alaoui, Deniz Hacisalihoglu, Mieke Laurisch, Mujtuba Mirza, Anton Palm, Friederike Seiler, Lea Völpel sowie Dr. Andreas Linsenmann.
V.i.S.d.P.: Dr. Andreas Linsenmann, Johannes Gutenberg-Universität, Jakob-Welder-Weg 18, 55128 Mainz, E-Mail: linsenmann@uni-mainz.de.
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Die Veröffentlichung der Bildquellen mit freundlicher Genehmigung der Karin-Eckert & Paula-Ludwig-Stiftung, c/o Evangelische Kirchengemeinde Budenheim, Jahnstraße 2, 55257 Budenheim. Das Autor:innenkollektiv dankt nachdrücklich der Karin-Eckert & Paula-Ludwig-Stiftung, namentlich deren Vorsitzendem Heinrich Fuhr, dem Stadtarchiv Mainz sowie insbesondere der Universitätsbibliothek Mainz, die freundlicherweise die Gestaltung und technische Umsetzung übernahm, für die zuvorkommende Kooperation.
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