Wäre es nicht reizvoll, ein überzeitliches und fächerübergreifendes „Who is who“ ganz unterschiedlicher Absolventen der Mainzer Universität (der alten und der neuen) anzusammeln? Also nicht etwa eine reine Prominenten-Auflistung der Großen und Notabeln (die es zu Staatsmännern, Bischöfen, Politikern, Preisträgern etc. gebracht haben), sondern sich durchaus auch den einen oder anderen feuilletonistisch motivierten Blick ins Anekdotische und Kuriose erlaubend: die bunte Wirklichkeit der Universitas Moguntina widerspiegelnd.
Wie wir den vom lateinischen curiosus abgeleiteten Begriff heute gebrauchen (als „eigenartig“, „sonderbar“) unterscheidet sich vom Sprachgebrauch der ersten Hälfte des 18. Jhs. fundamental, als unzählige Sachbücher ein einleitendes »curieus« im Titel führten, was vor allem „interessant“ und „mitteilenswert“ bedeutete.
Die wunderbaren Digitalisate zur Mainzer Universitätsgeschichte über Gutenberg Capture schreien geradezu danach, dass wir uns solche Blicke zuweilen erlauben – und damit auch ein gewisses Feedback geben und die Kolleg:innen sowie die gesamte interessierte Öffentlichkeit an solchen Seitenblicken Anteil nehmen lassen. Es wäre doch auch eine gebührende Dankabstattung gegenüber den Archivar:innen und Bibliothekar:innen, die oft genug leider relativ resonanzarm für uns arbeiten und uns mit Quellen und Material versorgen.
Ferdinand Ochsenheimer (1767–1822)
Ich werfe versuchsweise einen ersten Stein ins Wasser und stelle nun einen Studiosus der alten Mainzer Universität ins Schaufenster. WAS? Den kennen Sie nicht?! Ferdinand Ochsenheimer war der Sohn eines kurfürstlich-mainzischen Bratenmeisters [nomen est omen]. Er studierte an der Mainzer Universität und war eine Mehrfachbegabung. Werfen wir also einmal ein paar Blicke auf ihn und seinen Stolperstart an der Uni Mainz.
Der gebürtige Mainzer Ferdinand Ochsenheimer wurde sowohl als Schauspieler als auch als Schmetterlingssammler und wissenschaftlicher Autor bekannt und berühmt; seine Leistungen auf beiden Gebieten sicherten ihm eine bleibende Erinnerung und Bedeutung.
Auf seine Mainzer Jugend- und Studienjahre waren zunächst Anstellungen als Hofmeister bei zwei Adelsfamilien in Mannheim gefolgt, und ab 1794 dann zahlreiche Engagements bei Theater- und Schauspielergesellschaften. Dresden, Leipzig und Wien waren die herausragenden Stationen, und er kam in persönlichen Kontakt zu vielen Großen (Iffland, Schiller etc.).
Die Schmetterlinge von Europa wurde sein bedeutendstes lepidopterologisches (schmetterlingskundliches) Vermächtnis. – Es gibt zahlreiche Porträts (auch Rollenporträts) von Ochsenheimer, und auch die Wikipedia bietet ein größeres Lemma über ihn.
Auf der von Dr. Jana Bisová (Datschitz/Mähren) erstellten Stammtafel ist zu sehen, wohin sich die Familie des 1767 in Mainz geborenen Ferdinand Ochsenheimer (entlang seiner Engagements als Schauspieler) in der Folgegeneration ausbreitete: nach Dresden und Leipzig sowie nach Wien. Ferdinands Enkel Friedrich wurde 1873 sogar in den Ritterstand erhoben und lebte in Graz.
Theaterstücke für das Mainzer Nationaltheater
Ochsenheimer hat als junger Mann einige Theaterstücke geschrieben und veröffentlicht, deren Erstaufführungen für das Mainzer Nationaltheater bezeugt sind!
Während die bisherigen biographischen Lemmata zu Ochsenheimer ihn für die frühen 1790er Jahre längst in Mannheim wähnen, als Hofmeister zunächst bei der Freiherrenfamilie v. Dalwigk, später dann bei Familie v. Reipelt, scheint er doch länger als bisher bekannt noch in Mainz verblieben zu sein und dort auch gewirkt zu haben.
Ochsenheimer an der Universität Mainz
Ferdinand Ochsenheimer ist durch einen Eintrag in die Mainzer Universitätsmatrikel vom 9. Januar 1781 als Hörer der dritten Klasse bezeugt. 1783 wurde er in den ersten philosophischen Kurs zugelassen, 1784 in den zweiten und 1785 in den dritten philosophischen Kurs.
Am 8. August 1785 defendierte er mit allgemeinem Beyfalle Theses von der Elektrizität und wurde zur zweiten „Laurea“ der philosophischen Fakultät promoviert, durfte seit 16. September 1785 den Titel eines Magister philosophiae führen. 1786 ist er als Teilnehmer der neu eröffneten Zeichnungsschule bezeugt.
Aus den Protokollen des Mainzer Universitäts-Justizsenats vom Jahresbeginn 1788 ist bezeugt, dass Ochsenheimer [sein Vorname ist zwar nicht erwähnt, aber er war der einzige Mainzer Student dieses Namens] wohl ein Jurastudium in Mainz an seine philosophischen Studien angehängt haben muss – wie ernsthaft (oder auch nicht) er dieses auch immer betrieben und verfolgt haben mag. Zwei Jura-Mitstudenten hatten ihn jedenfalls verklagt, weil er sie aus einem Gästezimmer im Gasthaus zum Löwen in Weisenau unsanft hinausgeworfen habe, wofür sie Genugtuung verlangten. Tatsächlich wurde Ochsenheimer auferlegt, sich zu entschuldigen, bei Androhung einer nennenswerten Strafe durch das Universitätsgericht.
Auch im Stammbuch des Mainzer Jurastudenten Heinrich Keller [seit 1791 geadelt: von Keller] hat sich Ferdinand Ochsenheimer mit einem Schattenriß-Porträt, unter dem Motto („Symbolum“) Entbehren und genießen eingetragen. Sein Eintrag (Mainz, 7. November [Wintermonat] 1791) lautet:
Wohin nur ein Saamenkorn des Vergnügens fiel, sprossen schon tausend Keime des Jammers. Jeder Tropfe Zeit ist eine Sterbeminute der Freude, jeder wehende Staub der Leichenstein einer begrabenen Wonne.
Augenscheinlich waren die beiden jungen Männer Studienkollegen und Freunde, so dass wir nun annehmen dürfen, Ochsenheimer muß viele Semester lang quasi nebenbei noch Jura an der Mainzer Universität studiert haben.
Rechts unten notierte Keller zum weiteren Werdegang seines Freundes: Schauspieler geworden, war 1809 in Berlin und Leipzig. Dann in Wien, wo er auch als Naturforscher und Entomologischer Schriftsteller berühmt wurde.
Flucht in die Schauspielerei schon im ersten Studiensemester
… und nun wollen wir endlich konkretisieren, was wir eingangs mit „Stolperstart“ an der Mainzer Universität im Hinblick auf Ochsenheimer meinten. Eine interessante Akte aus dem Bayerischen Staatsarchiv Würzburg, die nun in Gutenberg Capture im Digitalisat vorliegt, verrät uns viel Neues und Interessantes zum eigentlichen Studienbeginn Ochsenheimers in Mainz!
Gleich in seinem ersten Studiensemester an der Philosophischen Fakultät der Universität Mainz hatte sich Ferdinand Ochsenheimer aus seiner Begeisterung für die Schauspielerei heraus verführen lassen und ist gegen den Willen seiner Eltern aus Mainz entwichen.
Der aus Donaueschingen (*1753) gebürtige und damals in Mainz gastierende Johann Nepomuk Brix von Wahlberg (aus der Brehmschen Schauspielertruppe) hatte über die Vermittlung seines Untermieters, des Goldstickers Anton Mourisson, den jungen Ochsenheimer kennengelernt und veranlasst, mit ihm am 7. März 1783 (heimlich) aus Mainz zu entweichen. Sie reisten von Weisenau aus zu Fuß nach Pforzheim, um sich der Kübelerschen Schauspieltruppe anzuschließen, und tatsächlich wurde Ochsenheimer (in den Tagen um seinen 16. Geburtstag herum) auch engagiert – ohne dass es wohl zu einem Bühnenauftritt gekommen ist. Brix, der sich Brixius nannte, und Kübeler wußten freilich um den heiklen Status des jungen Ochsenheimer und fürchteten Ärger und Verfolgung, weswegen sie von sich aus die Eltern Ochsenheimers in Mainz schriftlich informierten, dass deren Filius Ferdinand mit nach Pforzheim gereist sei, um als Schauspieler erste Erfahrungen zu sammeln.
Die Eltern waren freilich überhaupt nicht einverstanden und schalteten die Behörden ein. Nun wurde der Direktor der Mannheimer National-Schaubühne, Herr Majer, nach Pforzheim geschickt. Er nahm den jungen Ochsenheimer in Obhut und brachte ihn nach Mannheim, wo ihn dessen Mutter auch abholte und nach Mainz zurückbrachte. Die Behörden in Mainz leiteten ein förmliches Verfahren ein. Universitätskurator Anselm Franz Frhr. von Bentzel berief eine Untersuchungskommission ein und wollte den Komödianten Brixius exemplarisch bestrafen lassen. Dazu wurde der junge Ochsenheimer am 19. April 1783 ausführlich verhört. Das Protokoll ist der Hauptgegenstand der überlieferten Akte (die nun in Gutenberg Capture als Digitalisat vorliegt).
Der Straftatbestand musste hinsichtlich der durch Brixius einbehaltenen Wertgegenstände des jungen Studenten konkretisiert werden. Bei seiner Abreise aus Mainz hatte Ochsenheimer bei sich: 6 Komödienbücher, 4 Hemden, 4 fl. (Gulden) Bargeld und eine silberne Uhr aus dem Besitz seines Vaters. Die Bücher und Hemden hatte Brixius für den jungen Reisebegleiter in Verwahr genommen. Ein Hemd hatte die Ehefrau von Brixius aus Geldmangel in Worms verkauft, die übrigen Hemden und Bücher ansonsten in einem Koffer nach Freiburg geschickt, wohin sich die Schauspielertruppe begeben wollte. Die Ochsenheimersche Uhr hatte Brixius um 7 fl. versetzt, weil der Truppe Bargeld ermangelte.
Nachdem im Verhörgespräch Ochsenheimers alle Umstände zutage traten, wandte sich die Mainzer Regierung offiziell an die vorderösterreichische Regierung nach Freiburg und ersuchte um die Rückübersendung der Ochsenheimerischen Effekten.