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Universitätsbibliothek Mainz

22.05.2018

Was ist eigentlich ein Notstand?

Habt ihr früher auch so gerne das Sandmännchen gesehen wie ich? Besonders gerne mochte ich wenn Piggeldy und Frederik komplizierte Sachen einfach erklärt haben. Da sie schon seit geraumer Zeit an der Außenwand des SB II bei uns auf dem Campus wohnen, haben sie inzwischen auch einiges zur Geschichte der 68er in Mainz zu erzählen:

„Frederik, was ist eigentlich ein  Notstand?“. „Nichts leichter als das“ antwortete Frederik. „Komm mit“. Und Piggeldy folgte Frederik….

Diese Frage beschäftigte vor dem kleinen Piggeldy auch schon andere. Beispielsweise die Mainzer Studis im Mai 1968. Denn die damals  regierende GroKo wollte das Grundgesetz um eine Notstandsverordnung ergänzen, weil… ihr wisst ja… falls der Russe kommt oder so. Das fanden viele Leute aber eher suboptimal.

Bevor wir euch im Laufe dieser Woche aber berichten, wie die Mainzer Studis sich gegen eben diese Verordnung zu wehren versucht haben, erstmal zusammengefasst, worum es dabei überhaupt ging.

Hochgekocht oder brandgefährlich?

Anders als heute, wo Deutschland von Freunden „umzingelt“ ist, lagen BRD und DDR damals am Brennpunkt eines internationalen Konfliktes. Die Deutschen wussten sicher: Ein Krieg zwischen der Nato und dem Warschauer Pakt würde direkt vor ihrer Haustür ausgetragen werden, wie man beispielsweise beim Bau der Berliner Mauer deutlich gesehen hatte. In der Bundesrepublik versuchte man deshalb das bestehende Grundgesetz so zu erweitern, dass der Staat auch im Falle von Krieg, Naturkatastrophen oder Aufständen handlungsfähig blieb. Jetzt wird mancher sicher sagen: „Ein Aufstand in der BRD? Wir sind doch keine Bananenrepublik!“. Aber nachdem die späteren Begründer der Roten Armee Fraktion (RAF) am 2. April 1968 in Frankfurt einen Brand in einem Kaufhaus gelegt hatten und 9 Tage darauf auch noch Rudi Dutschke von einem rechtsgerichteten Hilfsarbeiter angeschossen worden war, klang das Ganze nicht so abwegig wie heute (vor allem, da es 1953 erst zu einem solchen Aufstand in der DDR gekommen war). Daher lag es also nahe, Gesetze für einen Notstand zu treffen. Vielen Studis war aber nicht klar, wie dieser definiert wurde: Kann nicht auch eine fehlende Regierungsmehrheit eine Art Staatsnotstand sein? Für einen Politiker schon, aber ob so etwas eine Notstandsverordnung rechtfertigen könnte? Man wusste es nicht so genau. Und deswegen dachten sich die Studis, es sei besser zu protestieren, als morgen im Faschismus aufzuwachen.

Im Zweifel für die Grundrechte

Vor allem richteten sich die Proteste gegen die Einschränkung der Grundrechte. So sollten per Erlass das Briefgeheimnis und die Freizügigkeit eingeschränkt werden können. Bei Ausrufung eines Notstandes hätte die Polizei also einfach die Post von jedermann und jederfrau öffnen und auch Kriegsdienstverweigerer zum Lazarett und Hilfsdienst heranziehen dürfen. 23 Jahre nach dem Ende der Hitlerdiktatur wollten die Studis sichergehen, dass diese Maßnahmen nicht missbraucht würden, um sie breitflächig zu überwachen und in eine Kriegsmaschinerie einzuspannen, wie es seinerzeit durch die Wehrmacht geschehen war. Weiterhin sah die Verordnung für den Katastrophenfall oder falls Polizeikräfte nicht ausreichen sollten vor, den Einsatz der Bundeswehr im Innern zu erlauben (so geschehen viel später beim Oderhochwasser 1997). Dass die Ausweitung dieser damals zugestandenen Rechte immer noch ein Dauerbrenner der deutschen Innenpolitik ist, zeigten zuletzt die Diskussionen um den Einsatz der Bundeswehr bei Terroranschlägen.

Vor allem wollten die Studis verhindern, dass sich der aus ihrer Sicht immer noch ziemlich verkrustete Staat mit seiner altmodischen Universität (Stichwort: „Muff von 1000 Jahren unter den Talaren“) wieder zu einer totalitären Diktatur entwickelt. Für sie stand fest: „Dagegen muss man doch was machen“. Aber eben nicht nur in Bonn, Frankfurt und Berlin, sondern auch in Mainz. Dort gab es schon seit Dezember 1966 ein breites Aktionsbündnis gegen die Notstandsgesetze, wo sich neben Gewerkschaften und dem Bund der Kriegsdienstverweigerer auch Hochschulgruppen und die Evangelische Studierendengemeinde engagierten.

Und hierfür hatten sich die Studis und sogar die Professoren der Universität einiges einfallen lassen. Was genau, erfahrt ihr den kommenden Artikeln dieser Woche – pünktlich zum 50. Jahrestag der Ereignisse. Neben einem Hungerstreik haben wir die Geschichte eines ungewöhnlichen Anschlags für euch und werfen auch einen Blick nach Germersheim. Schaut also rein!

Frank Hüther
Frank Hüther

Frank Hüther arbeitete bis April 2023 im Universitätsarchiv.