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Universitätsbibliothek Mainz

25.05.2018

STREIK, STREIK, STREIK

„Morgens früh um sieben stehen wir im kalten Wind

und warten auf die Schweine die nicht solidarisch sind

auf die, die nichts kapieren

und immer noch parieren“

(Zum Streikpostenlied)

So oder so ähnlich könnte das Lied der Mainzer Streikposten am Morgen des 27.05.1968 geklungen haben. Außer vielleicht das mit dem kalten Wind, der Mai ist bekanntlich ja der Wonnemonat.

Aber was hatte es mit diesem Streik auf sich?

Natürlich ging es um die Notstandsgesetze. Wer nochmal genau nachlesen will, was es damit auf sich hatte kann es sich hier nochmal von den zwei Berufsrevolutionären Frederik und Piggeldy erklären lassen. Weil diese Gesetze die Studis (und auch den Rest der Bundesrepublik) schon länger beschäftigten veranstaltete der AStA bereits am 09.05.1968 ein teach-in bei dem neben studentischen Vertretern auch Prof. Manfred Mezger und Prof. Peter Schneider sprachen.

Um möglichst vielen Studis die Teilnahme zu ermöglichen, wurde mit den Professoren Vorlesungsfreiheit vereinbart. Das heißt, wer statt in sein Seminar zum teach-in gehen wollte, bekam diese Sitzung nicht als Fehlstunde angerechnet. In heutigen Studizeiten, in denen auch durch Vorlesungen die ein oder andere Anwesenheitsliste wandert, natürlich eine Undenkbarkeit…

Zwei Schritte vor, einen zurück

Prof. Schneider, der auch Gutachter beim Bundestagshearing des Gesetzes war, sagte „Ich teile die Sorgen der Notstandsgegner, daß nach der Verabschiedung der Gesetze durch willkürliche Handhabung der Notstandsgewalt die Demokratie zum Notstandsstaat pervertiert wird.“ Tags darauf stellte er aber in einem Interview noch einmal klar, dass er der Notstandsgesetzgebung grundsätzlich zustimme, wenn der Bundestag diese Grundgesetzänderung mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit beschließe. So etwas konnten die Studis natürlich nicht gutheißen.

Nachdem einige Studis zusammen mit einem Lehrling einen Hungerstreik in der Evangelischen Studierendengemeinde begonnen hatten (mehr dazu erfahrt ihr hier), kam es am 24.05. zu einer außerordentlichen Stupa-Sitzung, bei der über einen Streik abgestimmt werden sollte. Bei der Abstimmung gab es aber einen Formfehler, so dass kein Beschluss zustande kam. Eine vorherige Umfrage unter den Studis ergab, dass sich keine Mehrheit für den Streik finden würde.

Von Mainzer Sitzenbleibern

Nichtsdestotrotz wurde für Montag, den 27.05. eine Sitzblockade vor dem Eingang der Universität organisiert. An diesem Tag fand nämlich die letzte Lesung der Notstandsgesetze im Bundestag statt, und die Studis wollten ihren Unmut über die bevorstehende Verabschiedung Luft machen. Deshalb versammelten sich die Kommilitonen bereits um 7 Uhr, einer für Studis ja sonst eher untypischen Uhrzeit, um den Eingang der Universität am „Bretzenheimer Tor“ zu blockieren.

„Bretzenheimer Tor – nie gehört“ denkt jetzt sicher der ein oder die andere. Aber wie man auf nebenstehendem Bild sieht, sah der Campus damals noch ziemlich nach Kaserne aus und hatte deswegen auch noch Tore, wie sie sich für eine Flakkaserne gehörten (Eigentlich fehlt nur noch Lilli Marleen, wie sie unter der Lampe rechts im Bild auf ihr Liebchen wartet, oder;) ).

Studierende bei der Campusblockade
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Universitätsarchiv Mainz

Blockade des "Bretzenheier Tors" durch die Studis

Aber natürlich kein Streik ohne Regeln. So sollte zwar der Campuseingang blockiert werden und auch die PKWs auf Parkplätze außerhalb der Uni umgeleitet werden, technische Einrichtungen und Versuche, die keine Betriebsunterbrechung dulden, waren aber vom Streik ausgenommen. Da der Campus auch damals schon mehrere Eingänge hatte, die nicht blockiert wurden, konnte eigentlich jeder der studieren wollte, seinem Bedürfnis nachkommen. Schon zuvor hatte das Streikkomitee Mitstudis darum gebeten, auch einen der anderen Eingänge zu benutzen. Diese waren, glaubt man den damaligen Studis, auch zu jeder Zeit passierbar. Die Mainzer Allgemeine Zeitung behauptete in einem Artikel das Gegenteil. Auch wurde dort auf ein gewisse chemische Substanz verwiesen – dazu aber später mehr. Trotz alledem stellte der Oberpedell fest, die Vorlesungen seien noch nie so gut besucht gewesen wie an diesem Tag.

In Deutschland hat alles seine Ordnung, selbst das Streiken verläuft nach Plan. Blickt man in den Zeitplan des damaligen Streiks, steht dort:

07.00 Uhr: Beginn des Sit-In

09.30 Uhr: Voten, Referate und Diskussion mit Professoren und Studierenden

11.00 Uhr: Hauptreferat „Streik als Form politischen Widerstandes“ durch einen Referent der IG-Metall.

Vielleicht hatte Lenin recht, als er die Deutschen verdächtige, vor der Stürmung eines Bahnhofs erstmal eine Bahnsteigkarte zu kaufen…

Die chemische Keule

Fotografie mit Leopold Horner
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Universitätsarchiv Mainz

Und so sah der "Attentäter" Prof. Horner aus. Eigentlich ganz sympathisch, oder?

So viel Aufregung wegen eines halben Tags ohne Uni? Der Fortbestand der akademischen Welt hing von diesen paar Stunden sicherlich nicht ab. Interessant sind aber die Reaktionen auf die Blockade, die vor allem bei konservativen Kreisen (maßgeblich Burschenschaftler und Doktoranden der Naturwissenschaften) nicht besonders gut ankam. Dass eine der Mainzer Burschenschaften dem Rektor antrug, man könne ihm gerne ein Rollkommando aus den eigenen Reihen zur Verfügung stellen, war hierbei eher eine Randnotiz.

Weit mehr Aufmerksamkeit wurde einem Ereignis zuteil, dass als „Buttersäure-Anschlag“ in die Mainzer Universitätsgeschichte einging und über welches die Meinungen anschließend auseinandergingen. Denn „schätzungsweise gegen 8.15“, wie es in einer Zeugenaussage heißt, „strebte Prof. Horner mit einigen Assistenten, gekleidet in weiße Kittel dem geschlossenen Tor am Bretzenheimer Eingang […] zu“. Leopold Horner war Professor für organische Chemie und durchaus über das Sit-in der Studierenden nicht erfreut. In seiner Hand hielt er einen Glaskolben, dessen Inhalt er über die Sitzstreikenden Studis schüttete, um „damit die Widerstandskraft der Sitzenden zu testen“, wie dessen Assistent später zu Protokoll gab. Was in diesem Glaskolben war ahnt ihr sicher schon – Buttersäure. Für alle, die nicht in Genuss eines Chemiestudiums kamen, sei gesagt: Buttersäure ist dieses Zeug, dass euch schon im Chemieunterricht sprichwörtlich gestunken hat. Doch damit nicht genug! Ähnliches wiederholte sich etwa eine Stunde später, als ein Mann im hellblauen Pullover erneut eine Flüssigkeit über die Sitzstreikenden schüttete. Da die Flüssigkeit in Augen und Nase brannte (gerüchteweise soll es sich um Brom gehandelt haben), musste das Tor kurzzeitig geräumt werden.

Das Schweigen der Lämmer

Jetzt sollte man denken, dass solch ein Verhalten ein irgendwie geartetes Nachspiel gehabt hätte und die Betreffenden wenigstens ein strenger Tadel des Rektors erwartete. Doch weit gefehlt. Das Klima an der JGU war derart aufgeheizt, dass Rektor Adam befürchtete, die Stimmung würde überkochen. Daher beschloss der Senat der JGU in der Sitzung vom 21.06.1968, nichts zu unternehmen. Er bedauerte, „... daß es am 27. Mai 1968 zu rechtswidrigem und ungeeigneten Verhalten gekommen ist. Er sieht jedoch im Interesse der Befriedung davon ab, weitere Schritte zu unternehmen“.

Hiergegen protestierte der AStA energisch, konnte sich aber nicht durchsetzen. Auch der berühmte Nobis-Redakteur Jörg B. Bilke (warum er berühmt war, lest ihr bspw. hier) meldete sich zu Wort. Unter dem Titel „Mainz bleibt Mainz“ auf einem Flugblatt kritisierte er diese Entscheidung und die gescheiterte Aussprache zwischen Horner und den Studis.

Der Wirbel um die Notstandsgesetze zeigte, dass politischer Protest in Mainz nicht nur in Büttenreden stattfindet und der Mai ‘68 auch an der JGU einige Gemüter zum Kochen brachte. Studis und Profs engagierten sich, waren aber bei weitem nicht immer einer Meinung. Mainz ist eben nicht das verpennte Nest, für welches man es gerne hält. Auch hier fanden sit-ins, teach-ins und Demos statt. Und manchmal flogen eben nicht die Fäuste, sondern  die Chemikalien.

Noch mehr Infos über 1968 in Mainz findet ihr hier im Blog oder auch in diesem Aufsatz

Kißener, Michael: „1968“ in Rheinland-Pfalz. Probleme und Erträge einer historischen Spurensuche, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 35 (2009), Koblenz 2009, S. 559-608.

Frank Hüther
Frank Hüther

Frank Hüther arbeitete bis April 2023 im Universitätsarchiv.