Ägyptische "Schreiber" – oder genauer gesagt: ägyptische Beamte – erfüllten im Alten Ägypten eine Vielzahl an Aufgaben und konnten in unterschiedlichsten Funktionen eingesetzt sein. Je nach Position in der Beamtenhierarchie reichte dies vom Anfertigen einfacher Schriftstücke bis hin zur Verwaltung ganzer Tempelbezirke mit zahlreichem Personal und aufwendiger Logistik. Wanddarstellungen in Gräbern zeigen, dass es ganze Schreiberstuben gab, in denen die "Verwaltungsangestellten" wie in einem modernen Großraumbüro Schreibarbeiten erledigten. Beamte höherer Rangstufen hingegen leisteten auch politische oder militärische Führungsaufgaben und waren für vielfältige Prozesse im komplexen Verwaltungsapparat des ägyptischen Staates zuständig.
Ähnlich verlief bei allen ägyptischen Beamten die Ausbildung: Ab dem Kindesalter wurden die zukünftigen Schreiber zunächst im Hieratischen, der "Schreibschrift" des Ägyptischen, unterrichtet. Die klassischen Hieroglyphen erlernten die Schüler – wenn überhaupt – erst in einem zweiten Schritt. Es ist unklar, ob es schon in den frühen Epochen der ägyptischen Geschichte eine zentralisierte Schulausbildung gab, aber Inschriften berichten davon, dass auch Kinder höhergestellter Schichten, die nicht direkt der königlichen Familie angehörten, gemeinsam mit den Königskindern am Hof unterrichtet werden konnten.
Die Ausbildung und spätere Position waren stark von der sozialen Stellung abhängig; ein leistungsorientierter Aufstieg war nur in wenigen Fällen möglich, hauptsächlich über militärische Karrieren. Hohe ägyptische Beamte ließen sich in Statuen gern als "Schreiber" darstellen, um ihre Fähigkeiten und den sozialen Status, vor allem die Nähe zum Königshaus, hervorzuheben. Keine andere Gruppe an Rundplastik verkörpert anschaulicher das Prestige, das mit der Schreib- und Lesekundigkeit in Ägypten einherging – wenig überraschend bei einer geschätzten Analphabetenrate von 99 Prozent innerhalb der antiken ägyptischen Bevölkerung. Das Motiv entstand in der 4. Dynastie, als die Figuren zunächst den Söhnen des Königs vorbehalten waren, die nach dem Pharao die ranghöchsten Verwalter des Landes darstellten. Das Aufstellen ihrer Figuren in den Grabmälern der Könige symbolisierte ihre Teilnahme am Totenkult der Herrscher.
Die Abgusssammlung des Fachgebiets Ägyptologie beinhaltet eine solche Schreiberstatue des Beamten Henka, eine Replik des Originals, das sich heute unter der Inventarnummer 7334 im Neuen Ägyptischen Museum in Berlin befindet. Die Haltung der Schreiberfiguren, wie sie auch dieser Abguss zeigt, ist charakteristisch: Im Schneidersitz hockt Henka auf dem Boden, der Oberkörper ist aufgerichtet. Sein Blick geht geradeaus, er wendet sich nicht der Papyrusrolle zu, die er teils ausgerollt auf seinem Schoß ausgebreitet hat. Als Schreibunterlage dient der gespannte Schurz des Beamten, als Schreibgerät hält er eine Binse in der rechten Hand – eine Besonderheit dieser Statue, denn während andere Figuren dieses Typs zwar die typische Handhaltung mit zusammengeführtem Daumen und Zeigefinger aufweisen, ist nur bei Henka das Gerät tatsächlich erhalten und mit dem Rest der Statue aus einem Stück modelliert. Die Inschrift am Sockel weist ihn als "Einen der zehn Großen von Oberägypten, Vorsteher der beiden Pyramidenbezirke des (Königs) Snofru" aus, was ihn hoch in der Hierarchie des ägyptischen Verwaltungsapparats positioniert. Henka lebte jedoch nicht zeitgleich mit dem bekannten Herrscher aus der 4. Dynastie (ca. 2670-2620 v. Chr.), der sich insgesamt drei Pyramiden erbauen ließ, sondern war knapp zwei Jahrhunderte später (um 2450 v. Chr., Mitte 5. Dynastie) für die Verwaltung zweier dieser Pyramidenanlagen des Snofru zuständig.
Von Henka sind ein Parallelstück zu diesem Rundbild sowie eine weitere Sitzstatue erhalten, die sich heute beide im Kunsthistorischen Museum in Wien befinden (Inventarnr. ÄS 74 und ÄS 75). Obwohl der genaue Fundort der Figuren unbekannt ist, stammen alle drei höchstwahrscheinlich aus Henkas Grab, das sich vermutlich in Meidum, etwa 80 Kilometer südlich des heutigen Kairo, befunden hat.
Die Replik der Schreiberstatue des Henka sowie Abgüsse weiterer altägyptischer Objekte – darunter Wanddarstellungen bekannter Reliefszenen sowie Statuen und Kleinkunst verschiedenster Epochen, die vom Freundeskreis Ägyptologie e. V., größtenteils durch Ulrike Jungnickel, gestiftet wurden, können nach Absprache und Terminvereinbarung per E-Mail gern in den Räumlichkeiten des Fachgebiets Ägyptologie in der Hegelstraße 59 in Mainz-Münchfeld besichtigt werden.
Monika Zöller-Engelhardt
Ansichtssache!
Stellvertreter für die Ewigkeit – Die Sitzstatue des Metjen
Literatur (Auswahl)
- Baines, John, Literacy and Ancient Egyptian Society, in: Man. A Monthly Record of Anthropological Science (New Series) 18,3, 1983, 572-599.
- Callaghan, Gael, The Education of Egyptian Scribes, in: The Bulletin of the Australian Centre for Egyptology 2, 1992, 7-10.
- Fitzenreiter, Martin, Statue und Kult. Eine Studie der funerären Praxis an nichtköniglichen Grabanlagen der Residenz im Alten Reich, 2 Bde., Internet-Beiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie 3, Berlin 2001.
- Regulski, Ilona, Scribes in Early Dynastic Egypt, in: Engel, Eva-Maria et al. (Hgg.), Zeichen aus dem Sand. Streiflichter aus Ägyptens Geschichte zu Ehren von Günter Dreyer, MENES. Studien zur Kultur und Sprache der ägyptischen Frühzeit und des Alten Reiches, Wiesbaden 2008.
- Schlott, Adelheid, Schrift und Schreiber im alten Ägypten, München 1989.
- Scott, Gerry Dee, The History and Development of the Ancient Egyptian Scribe Statue, 4 Bde., Ann Arbor 1989.