Für Studierende ist es heutzutage leicht, eine Publikation, die an der Universitätsbibliothek Mainz nicht vorhanden ist, per Fernleihe zu bestellen. Die Nutzerinnen und Nutzer rufen die Seite des HEBIS-Fernleihsystems auf, melden sich mit ihren Benutzerdaten an und bestellen das Gewünschte einfach per Mausklick. Vorausgesetzt natürlich, sie haben genügend Guthaben auf ihr Fernleihkonto an der Zentralausleihe der UB eingezahlt.
Aber wie sah eine Fernleihbestellung vor der Digitalisierung aus? Die Antwort liefert der Fernleihgebührenmarkenautomat, der in den Sammlungen des Universitätsarchivs Mainz aufbewahrt wird.
Seit den frühen 1970erJahren hingen mehrere dieser Apparate im Foyer der Zentralbibliothek rechts neben dem Eingang. Es handelte sich um umgebaute Briefmarkenautomaten der Firma Heinrich H. Klüssendorf aus Berlin-Spandau. Bedauerlicherweise konnte die genaue Bezeichnung und die Modellnummer für den noch erhaltenen Einzelautomaten nicht mehr ermittelt werden. Er wird aber einen ähnlich wohlklingenden Namen gehabt haben wie sein Nachbargerät, der sogenannte „Doppel-Münz-Wertzeichengeber Modell 283“. Von diesem ist lediglich die Bedienungsanleitung überliefert, die auf das Jahr 1961 datiert werden kann – in dieser Zeit wurde vermutlich auch der Einzelautomat produziert bzw. umgerüstet. Auch die Funktionsweise der Geräte entsprach der eines damaligen Briefmarkenautomaten der Deutschen Post. Um sie von diesen unterscheiden zu können, wurden die Metallkästen in der Universitätsbibliothek dem Zeitgeschmack entsprechend orange lackiert. Der Einzelautomat misst 20 x 50 x 20 cm und ist schon ein echtes Schwergewicht, den man nur mit vereinten Kräften heben kann. Dank der hervorragenden Mechanik fielen die Automaten nie aus und kamen ohne Reinigungsaufwand aus.
Nachdem sie ihren Dienst etwa dreißig Jahre lang versehen hatten, wurden die Automaten zur Einführung des Euro im Jahr 2002 ausgemustert. Der Einzelautomat wurde nach einer Zwischenlagerung in einem Büro schließlich mit der Bedienungsanleitung für den Doppelautomaten, und einer Rolle mit Fernleihgebührenmarken vom Universitätsarchiv übernommen. Die Marken hatten einen Wert von jeweils 2,- DM, was den Kosten einer Fernleihe in der Zeit vor der Ausmusterung entsprach. Zu Beginn seiner Karriere hatte der Fernleihgebührenmarkenautomat nur 50 Pfennig für eine Marke verlangt hatte. Die ausgeklügelte Mechanik im Inneren der Apparatur ermöglichte es, die Gebühren festzulegen – durch Gewichtsverlagerung konnte die gewünschte Sortierung der Münzen eingestellt und der Einwurf auf bestimmte Münzen beschränkt werden.
Dies hielt aber die Bibliotheksbesucherinnen und -besucher nicht davon ab, den Automaten und damit auch die UB zu überlisten. Eine Sammlung unterschiedlichster Fremdwährungen, die eine Bibliotheksmitarbeiterin noch heute aufbewahrt, ist ein gewichtiges Indiz für die gängigen Schummeleien. Es handelt sich mehrheitlich um One Schilling-Münzen aus Großbritannien. Es findet sich aber auch Kleingeld aus anderen Erdteilen, zum Beispiel aus Malaysia oder Neuseeland – Münzen, die in etwa dem Gewicht und der Größe einer D-Mark entsprachen und statt ihrer eingeworfen wurden, um sich die Gebühren für die Fernleihe zu sparen.
Wie sah nun eine Fernleihbestellung damals aus? Ganz einfach! Die Nutzerin oder der Nutzer löste am Fernleihgebührenmarkenautomat eine Marke und klebte diese auf den Durchschlag eines an der Information erhältlichen Fernleihformulars, in das mit Schreibmaschine die bibliographischen Daten des gewünschten Mediums eingetragen werden mussten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Information überprüften alle Angaben und leiteten die Bestellung ein. Der entwertete Durchschlag mit der Marke diente für die Nutzerinnen und Nutzer als Bestellbeleg und Quittung. Nach 2 bis 6 Wochen Wartezeit war entweder das Gewünschte angekommen oder es wurde ein negativer Bescheid zugestellt.
Der Fernleihgebührenmarkenautomat ist ein anschauliches Beispiel für den Studierendenalltag der JGU und für die internen Abläufe innerhalb der Universitätsbibliothek vor der voranschreitenden Digitalisierung der Bibliothekssysteme.
Julia Tietz M.A., wissenschaftliche Hilfskraft im Universitätsarchiv / Doktorandin der Klassischen Archäologie