Benutzungsspuren gehören zur Rezeptionsgeschichte, die ein „Steckenpferd“ der Mainzer Gesangbuchforschung ist. Über die individuellen Einträge hinaus zielt die Rezeptionsgeschichte auf die Erforschung des kulturellen Wandels, auf die Veränderungen der Gesangbücher bezüglich ihrer Buchgestalt und ihres Liedguts in Hinsicht auf Text, Melodik, Theologie und lebensweltliche Anbindung. Die Hymnologie ist eine interdisziplinäre Wissenschaft, in der sich katholische und evangelische Theologie, Germanistik, Buch-, Geschichts- und Musikwissenschaft auf natürliche Weise begegnen.
Militaria sind ein Sondersammelgebiet innerhalb der rund 5.000 Gesangbuchexemplare, die mitten auf dem Campus der Johannes Gutenberg-Universität Mainz am Johann-Friedrich-von-Pfeiffer-Weg 9 beheimatet sind. Militärgesangbücher sind meist weder reine Verlags- noch reine Kirchenprodukte. Obgleich das vorliegende einen Verlag (E. S. Mittler) und eine kirchliche Druckerlaubnis ("Mit Genehmigung des Katholischen Feldbischofs der Wehrmacht vom 24. August 1939") hat, erschien es als Dienstverordnung des Heeres, der Marine und der Luftwaffe, wie die Kürzel H. Dv. 372, M. Dv. 838 und L. Dv. 42 belegen.
In gleicher Ausstattung und im gleichen Jahr erschien auch ein Evangelisches Feldgesangbuch. Von außen sehen beide Publikationen gleich aus, von innen sind sie sehr unterschiedlich. Das Katholische Feldgesangbuch hat einen deutlich größeren liturgischen Teil (Gebete, Litaneien, Andachten, Meßformulare), dafür nur 48 Lieder statt 82. Die Deckungszone im Liedgut ist sehr gering, das konfessionell Katholische ist sehr ausgeprägt. Das Evangelische wie das Katholische Feldgesangbuch sind Produkte der nationalsozialistischen Zeit. Das zeigt sich nicht nur am Gebet für Führer, Volk und Wehrmacht, am Fahneneid des deutschen Soldaten und anderen Militärtexten, sondern auch an den Textrevisionen.
So erhält Großer Gott, wir loben dich eine nationalsozialistische Schlussstrophe:
Dort, wo unsre Fahnen wehn, sei's zu Lande, sei's zu Meere, laß die Treue Schildwach stehn, sei uns selber Waff'n und Wehre. Losungswort sei allzugleich: "Treu zu Führer, Volk und Reich!"
Das Katholische Feldgesangbuch von 1939 ist also ein gutes Beispiel dafür, welchen Veränderungen Gesangbücher durch den politischen Zeitgeist unterworfen waren, wie neben traditionelle Texte neue und bearbeitete Lieder und Gebete traten.
Hermann Kurzke